Verwöhne mich mit Zärtlichkeit
Schuldgefühle.” Sie drehte sich vom Zaun weg und schaute Jefferson an. In ihren dunklen Augen leuchteten unzählige Lichtreflexe. “Ich habe mich jahrelang schuldig gefühlt, weil ich Paulo nicht lieben konnte. Einen guten Mann, einen Mann mit traditionellen Wertvorstellungen. Einen Mann, der zusammen mit meinen Eltern darauf vertraute, dass Marissa Alexandre sich ganz wie die pflichtbewusste Tochter verhalten würde, als ihr die wichtigste Wahl einer Frau vorenthalten wurde. Nämlich die, sich für den Mann zu entscheiden, den sie lieben und mit dem sie ihr Leben verbringen würde.”
In ihren Augen schimmerten Tränen, doch sie hielt sie zurück. “Du hast mich gebeten zu bleiben, Jefferson. Wie die größte Närrin aller Zeiten habe ich es nicht getan.”
“Du warst keine Närrin, Sweetheart. Du hast getan, was von dir erwartet wurde. Dein Vater war verzweifelt.” Jefferson konnte allerdings schwer akzeptieren, dass ihr Vater sich deshalb so verhalten hatte, wie er es getan hatte. “Mit deiner Entscheidung hast du die Konsequenzen aus den geschäftlichen Fehlspekulationen deines Vaters abgefangen und deinen Eltern einen gewissen Lebensstandard gesichert.”
Die perfekte Tochter. Sie selbst hatte sich so bezeichnet und damit unbewusst ihre Schwächen verdammt. Schwächen, die nur sie als solche sah. Was auch ihre Schuldgefühle erklärte. Ungerechtfertigte Schuldgefühle.
“Du warst nicht perfekt, Marissa. Aber aus Liebe zu deinen Eltern hast du selbstlos gehandelt. Adams hat das auch getan und für mich ähnliche Konsequenzen getragen.”
Marissa starrte auf den Boden. Doch Jefferson spürte, dass sie versuchte, seine Worte zu begreifen.
Mit einem Finger hob er ihr Kinn an, damit sie ihn anschaute. “Aus Liebe zu deinen Eltern hast du einen Mann geheiratet, den du nicht geliebt hast. Aus Liebe zu mir nahm Adams die Schuld für einen Schlag auf sich, den ich bei einer von mir angezettelten Prügelei ausgeteilt hatte. Beide seid ihr also für jemanden, der euch viel bedeutete, ins Gefängnis gegangen.”
“Die Ehe mit Paulo war kein Gefängnis, Jefferson.”
“Nein?” Er strich mit dem Finger von ihrem Kinn zu der empfindsamen Stelle ihres Mundwinkels.
Seine zarte Liebkosung ließ Marissa erschauern. Jahre waren vergangen, seit er entdeckt hatte, wie lustvoll sie auf diese kleine Berührung reagierte. Aber auch nach hundert Jahren würde er sich daran erinnern.
“Wenn ihr beiden Erfahrungen austauschen würdet, würdet ihr sicher große Ähnlichkeiten feststellen. Obwohl Adams’ Gefängnis in gewisser Weise mehr Freiheit bot.”
“Mach keine Märtyrerin aus mir. Ich habe in meiner Ehe nie gelitten.”
“Vielleicht nicht. Aber kannst du abstreiten, dass du das Opferlamm auf dem Altar der Reichen warst?”
Marissa schwieg. Wie konnte man gegen die Wahrheit angehen?
Jefferson strich mit dem Knöchel über ihre Unterlippe, dann ihr Kinn und ihren Hals entlang. Dabei spürte er, wie heftig ihr Puls schlug. “Adams wurde seine Freiheit genommen. Ich werde mir nie verzeihen, dass mein unsinniger Anflug von Heldenmut und Rache ihn viele
Jahre gekostet hat. Aber selbst das Gefängnis verlangte Adams nicht ab, was die Ehe dir abverlangte.”
Da begriff Marissa. Jefferson sprach von der körperlichen Vereinigung, wie das Gesetz sie in der Ehe vorsah. Doch in ihrer Ehe mit Paulo Rei war es nie dazu gekommen. Dafür war sie Paulo dankbar. Egal, was er sonst von ihr gewollt hatte, körperliche Liebe war es jedenfalls nicht gewesen. In dieser Hinsicht war er einfühlsamer und großzügiger gewesen, als sie erwartet hatte.
Ein solcher Mann verdiente es, dass seine Witwe eine angemessene Zeit enthaltsam blieb und um ihn trauerte.
Aber Jefferson war auch einfühlsam und großzügig. Und er verdiente es, die Wahrheit zu erfahren. Deshalb wollte sie bekennen, was sie geglaubt hatte, nie über die Lippen bringen zu können. “Meine Ehe mit Paulo war keine Ehe im herkömmlichen Sinn. Wir waren …” Fieberhaft suchte sie nach den richtigen Worten. Aber es gab keine Worte, die ihr das Eingeständnis erleichtert hätten.
Sie hatte Jefferson nie belogen. Andererseits war sie auch nicht so ehrlich zu ihm gewesen, wie sie hätte sein sollen. Es war höchste Zeit für die ganze Wahrheit. “Paulo und ich waren nie intim. Unsere Ehe wurde nie vollzogen.”
Jefferson war fassungslos. Kein normaler Mann, der mit einer Frau wie Marissa verheiratet war, würde sich mit einer rein platonischen Beziehung
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