Verwuenscht und zugenaeht
»Spitze!«
Ich bekomme es mit der Angst zu tun.
»Wir wollen ins Einkaufscenter. Sind bald zurück!«, rufe ich meinem Bruder zu. Er ist jetzt schon fast am Ende des Flurs und steuert direkt auf mich zu.
Schnell ziehe ich die Tür ins Schloss und folge Ken und Ann die Stufen der Veranda hinunter.
Das kann nicht gut gehen. Da bin ich mir sicher.
A ls wir am South Hill Einkaufscenter ankommen, sind meine Haare völlig zerzaust und mein Magen hat sich mindestens neunundneunzig Mal schmerzhaft verknotet. Ken fährt heute einen Jeep mit offenem Dach. Er sollte wirklich lieber wieder nach Kalifornien zurückkehren, wo solche Wagen Sinn machen. Es ist fast Oktober, nicht gerade die Jahreszeit, um mit offenem Verdeck durch die Gegend zu fahren.
Kens geleckte Haarpracht sieht nach der Fahrt ebenfalls ganz verstrubbelt aus. Dadurch fühle ich mich etwas besser. Vielleicht ist es jetzt nicht so peinlich, mit ihm gesehen zu werden. Hätte er noch ein normales T-Shirt an und würde nicht mehr andauernd grinsen, könnte er sogar ziemlich normal wirken.
Ann sieht dagegen noch schlimmer aus als vorher. Ihre Frisur ist jenseits von Gut und Böse. Vielleicht sollte ich ihr ein paar Haarpflegeprodukte besorgen.
Während wir zur Gastronomiemeile laufen, ziehe ich ein Haargummi von meinem Handgelenk, streiche die zerzausten Strähnen glatt und binde mir einen Pferdeschwanz. Ken nutzt die Gelegenheit, um seinen Arm um meine Taille zu schlingen und mich an sich zu ziehen. Sein Körper ist steinhart und es fühlt sich an, als würde ich gegen eine Wand stoÃen.
Ich zwinge mich zu einem Lächeln, winde mich aus seinem Griff und laufe zügig weiter.
»Wohin wollt ihr?«, frage ich schlieÃlich.
Als keine Antwort kommt, wende ich mich erst nach links, dann nach rechts und schaue schlieÃlich über die Schulter. Wo zum Teufel sind die beiden? Es ist wie immer an einem Montagabend nicht viel los im Einkaufscenter, doch die zwei sind nirgends zu sehen!
Ich laufe ein Stück zurück und dann entdecke ich Ann: Sie steht vor einer Boutique und drückt sich die Nase an der Scheibe platt.
»Das ist sagenhaft!«, ruft sie, als sie mich sieht. Sie tippt mit dem Finger an das Glas. »Besonders das da!«
Sie deutet auf ein blassrosa Top mit U-Ausschnitt. Ein breiter weiÃer Gürtel ist um die Taille geschlungen, dazu trägt die Schaufensterpuppe eine Jeans und Pumps. Mit anderen Worten: ein echtes Tussi-Outfit.
»Rosa beiÃt sich mit deinen Haaren«, sage ich.
»Aber das Teil gibt es auch in Blau!« Sie rennt zur nächsten Schaufensterpuppe und tippt wieder an die Scheibe.
Ich seufze und betrachte die Auslage. Diese Boutique gehört zu den günstigsten Läden hier im Center. Das Top kostet wahrscheinlich höchstens zehn Dollar.
»Wenn ich es dir kaufe, musst du morgen wieder den ganzen Tag auf das Pony aufpassen. Und zwar ohne Murren!«
Sie nickt und klatscht in die Hände. »Abgemacht!«
Unwillkürlich muss ich lächeln, als sie in den Laden stürmt â zumindest bis sie beginnt, das Top von der Puppe zu zerren.
DreiÃig Minuten später sitze ich vor einer Zimtschnecke und einem riesigen Becher Cola light, in dem ich meine Sorgen ertränke. Ich habe mir einen abgelegenen Tisch in der Ecke des hell erleuchteten Gastronomiebereichs gesucht. Dort kann ich das Plaudern und Lachen der anderen Kunden hören und ungestört die Leute beobachten. Vor mir häufen sich vollgeschmierte Servietten und die Zimtschnecke ist fast aufgegessen.
Ken wollte noch irgend so ein Protein-Drink-Pulver kaufen, das die Muskeln schneller wachsen lässt. Also ist Ann mit ihm los, um eine Dose zu besorgen. Ich habe mich zuerst gefragt, wovon er das bezahlen will, musste dann jedoch feststellen, dass er mehrere Kreditkarten besitzt. Nicht zu fassen!
Ich habe die Geburtstagswunschliste dabei und denke darüber nach, was ich mir noch gewünscht haben könnte. Inzwischen ist die Tabelle bereits halb ausgefüllt. Was die leeren Zeilen betrifft, bin ich jedoch keinen Schritt weiter als vor ein paar Tagen.
»Kayla?«, sagt die einzige Stimme, bei der sich mein Herz in der Brust zusammenzieht.
Ben.
»Witzig, wie oft wir uns zufällig über den Weg laufen«, sagt er lächelnd.
»Hallo«, erwidere ich und lächle eher verkrampft als erfreut zurück. Rasch blicke ich mich um. Ken und Ann sind zum Glück
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