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Verwüstung: Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges (German Edition)

Verwüstung: Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges (German Edition)

Titel: Verwüstung: Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
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Wirklichkeitsmaßstab lieferte, der auf einem menschlichen Maß aufbaute. Die Vorstellung von Zeit und Raum, Abständen und Strecken, von dem, was möglich, und dem, was unmöglich war, fußte letztlich auf dem Takt und der Länge der eigenen Schritte. Es hat den Anschein, als sei der Lebensrhythmus im Wesentlichen von zwei speziellen Phänomenen bestimmt gewesen; das eine war der ruhige Wechsel der Natur und der Jahreszeiten, das andere der stille Taktschlag der Pferdehufe auf dem Weg. Und dort war alles Langsamkeit.
    Nun ja.
    Erik Jönssons Reisen und Arbeiten während des Winters und Frühjahrs dürften monoton gewesen sein, denn außer einem vier Tage anhaltenden Schneesturm Mitte April finden sich in seinem Tagebuch wenige oder gar keine Details von Interesse bis Pfingsten 1644 . Er befand sich mit seinem Herrn in Stralsund, als dieser Order empfing, sich sofort zum Dornbusch im Norden der Insel Hiddensee zu begeben. Als Rehnskiöld und Erik dort anlangten, erwartete sie ein prachtvoller Anblick. Dort lag die gesamte schwedische Hochseeflotte vor Anker: 1040 Kanonen eingezwängt in ungefähr dreißig große Kriegsschiffe, acht Brander, eine Pinasse und eine Galeote.
    Es war eine ganze kleine Stadt, die dort auf dem Wasser lag. An Bord befanden sich fast 6000 Seeleute und Soldaten. Sie waren eine bunte Mischung. Die meisten waren ausgehobene Bootsmänner und Büchsenschützen – also Leute, deren Hauptaufgabe es war, die Kanonen zu richten –, die aus allen Seestädten und Küstenregionen des Reichs kamen: aus Småland, Sörmland und Uppland, aus den kleinen norrländischen Küstenstädten, von Åland und aus verschiedenen Teilen Finnlands. Da waren auch Zimmerleute aus Göteborg und ein geworbener Feldscher aus Deutschland. Ein Teil der Offiziere waren Schweden, aber viele waren Deutsche, und die meisten waren Holländer, die kürzlich erst von schwedischen Werbern in den Niederlanden angeheuert worden waren. (Die Letztgenannten hatten in scharfer Konkurrenz mit dänischen Werbern arbeiten müssen, die ebenfalls den Winter dazu benutzt hatten, auf dem Kontinent herumzureisen und Männer für ihre Flotte anzuheuern. Die Dänen hatten mehr Erfolg gehabt, aus dem einfachen Grund, weil sie besser bezahlten.)
    Es war mit großen Schwierigkeiten verbunden gewesen, die Kriegsflotte hierher in die südliche Ostsee zu verlegen. Es dauerte lange, alle Seeleute in Stockholm zusammenzuziehen, wo die Schiffe zusammenkamen und klargemacht wurden, und wie immer war das Geld ein Problem. Doch wieder einmal bewährte sich die schwedische Staatsmaschinerie trotz aller Widrigkeiten. Die Flotte hatte eine feste Organisation bekommen, deren Rückgrat das Aushebungssystem für Bootsleute und Büchsenschützen war. Claes Fleming hatte diese Arbeit während des Frühjahrs geleitet – also der große Beschützer des Neuschweden-Unternehmens im Rat.
    Fleming, ein fünfzigjähriger Mann mit dunklem, langem Haar, scharfem Blick und einem schmalen Kinn, war so etwas wie ein typischer schwedischer Beamtenaristokrat. Während viele seiner ausländischen Standesbrüder sich damit begnügten, ein stilles Leben auf dem Land zu genießen, arbeitete Fleming mehr als zwanzig Jahre lang unermüdlich im Dienst des schwedischen Staates. Den größten Teil seiner Energie hatte er darauf verwendet, die schwedische Flotte wieder aufzubauen (sie war nach der Zeit Eriks XIV . in einen Zustand weitgehenden Verfalls geraten). Die Erneuerung betraf überwiegend die Verwaltung. Früher hatte die Flotte im Prinzip einem einzigen Mann unterstanden, dem Reichsadmiral. In Flemings Zeit kam es jedoch in der Flotte zu einer ähnlichen Entwicklung wie in einigen anderen Bereichen der staatlichen Verwaltung. Es wurden vielköpfige Kollegien eingeführt, mit Sekretären, Referendaren und Schreibern, Leuten, die Gehalt und Schreibtische und Qualifikationen und Stempel und Chefs und Regeln und geordnete Karrierewege und eine Uhr an der Wand hatten. Kurz gesagt: Die Einmannveranstaltungen wurden durch Bürokraten und Bürokratien ersetzt.
    Es wächst, gestaltet von Giganten,
    mit Wendeltreppen, Gewölben und Kanten,
    – ein Amt, von Beben nicht erschüttert
    und von Gewitterwolken unberührt.
    In Flemings Fall hieß die neue Behörde das Admiralitätskollegium, und dort war er erster Admiralitätsrat. Für uns hat das Wort Bürokratie einen tristen, nicht besonders inspirierenden Klang, aber damals war sie etwas umwälzend Neues. Früher waren diese Apparate wie

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