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Verwüstung: Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges (German Edition)

Verwüstung: Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges (German Edition)

Titel: Verwüstung: Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
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anzuwenden, teils weil Deserteure und Männer, die der Aushebung entgehen wollten, nicht selten in die Wälder verschwanden, und für diese war die Räuberei eine Methode zu überleben. (Sowohl solche Ausreißer als auch gewöhnliche Verbrecher wurden zuweilen zu einer Art primitiver Rebellen, die sich bei ihrem Versteckspiel mit Vögten und anderen Repräsentanten der Obrigkeit einer nicht unerheblichen Unterstützung seitens der einfachen Leute erfreuen konnten.) Manchmal, wie in Småland 1640 , liefen solche Mengen von Soldaten davon, dass sie förmliche Kompanien in den Wäldern bildeten, die dann in der Provinz umherzogen und «Höfe heimsuchten und auf Pfaden und Wegen Gewalt ausübten», während die Behörden mehr oder weniger ohnmächtig zusahen – größer war ihre Macht also nicht.
    Dass der Krieg das Reisen beeinträchtigte, war für alle, die in Deutschland oder einem anderen Land, in dem gekämpft wurde, zu reisen versuchten, eine Selbstverständlichkeit. Deserteure, abgedankte Soldaten, Freibeuterbanden, vertriebene Bauern und andere wurzellose Existenzen streiften überall durchs Land und machten das Reisen zum Albtraum. Ein Engländer, William Crowne, der zu dieser Zeit durch Deutschland reiste, hat in seinem Tagebuch eine bedrückende Fahrt durch zerschossene Städte und verkohlte Dörfer beschrieben, wo man ständig auf der Hut sein musste, wo man in manchen Nächten kein Feuer anzuzünden, ja nicht einmal zu schlafen wagte, sondern nur still mit geladenen Musketen in den Händen wartete, während das Geräusch ferner Schüsse aus der Dunkelheit herangetragen wurde.
    Hatte denn die Langsamkeit des Reisens Auswirkungen auf die Menschen und ihre Art zu denken?
    Es ist offenkundig, dass eine Reise für den Menschen des 17 . Jahrhunderts etwas Großes und Bemerkenswertes war. Die Angaben über zurückgelegte Distanzen, die auch in sehr knapp gefassten Tagebüchern vorkommen, sind ein Zeichen des Stolzes, den man darüber empfand, gereist und weit gereist zu sein. Die Menschen hatten auch ein fast persönliches Verhältnis zu den Pfaden und Wegen in der Umgebung. Diese hatten eigene Namen – in Deutschland hatten die wichtigsten Straßen Bezeichnungen wie «Bergstraße», «Gulden Steig», «Nothpfad», «Rennweg», «Antsanvia» – und waren nicht selten von übernatürlichen Vorstellungen umwoben. Wer auf den verschiedenen Hauptverkehrswegen reiste, musste sich nicht selten allerlei Ritualen unterwerfen, zum Beispiel, wenn man an einem sogenannten Opfermal vorüberkam, also einer Stelle, wo ein tragisches Geschehen stattgefunden haben sollte, ein Mord, ein Tod durch Ertrinken oder etwas anderes Schauriges; dann sollte man einen Stock oder einen kleinen Stein auf das Mal werfen, sonst konnte es einem schlecht ergehen. Entlang der Wege gab es auch besondere Punkte, an denen der Wanderer haltmachen, rasten, einen Schluck zu sich nehmen und seine Tiere tränken sollte; meistens waren diese Stellen durch spezielle Steine – Ruhesteine – oder sonderbar geformte Bäume gekennzeichnet.
    Dieses gemächliche Dahinziehen entlang der Wege dürfte wohl die nachdenklichere Seite der Menschen gefördert haben. Ob man ging, zu Pferde saß oder in einem Wagen durchgeschüttelt wurde, es gab nicht so viele Möglichkeiten, sich die lange Reisezeit zu vertreiben. Man konnte die Umgebung anschauen, alles, was einem unterwegs begegnete, genau betrachten: eine schöne Landschaft, einen umgestürzten Wagen oder eine mehrere Jahre alte Diebsleiche ohne Füße und Augen. Die Menschen unterbrachen die Reise gern für eine Weile, um sich mit jemandem, der ihnen begegnete, zu unterhalten oder um etwas Spannendes, das sie entdeckt hatten, zu untersuchen, was natürlich zur Folge hatte, dass die Reise noch länger dauerte. (Es gibt auch Beispiele dafür, dass Männer, sei es aus Langeweile, sei es aus Geilheit oder wahrscheinlich aus einer Kombination von beidem, zerstreut onanierten, während sie im Sattel saßen.) Aber ansonsten konnte die Zeit nur benutzt werden, um zu denken und zu schauen und zu denken.
    Es ist gesagt worden, dass die Unsicherheiten und Gefahren des Reisens auch den religiösen Sinn der Menschen förderten, und das ist sicher richtig. Es war damals so viel gefährlicher zu leben. Und wenn man unterwegs war, konnten so viele Dinge schiefgehen, dass jede Meile, jeder Tag gleichsam ein Geschenk des Himmels war. Ein anderer Aspekt des Reisens war, dass es wie viele andere Aktivitäten einen

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