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Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges

Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges

Titel: Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
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und Mitteleuropas war der Dreißigjährige Krieg die größte und vernichtendste Heimsuchung, die je über Land und Leute gekommen war, und an den meisten Orten sollte man etwas Vergleichbares bis zum Zweiten Weltkrieg nicht wieder erblicken. Der Schock war gewaltig und veränderte in mehrfacher Weise das Weltbild der Menschen. Die Erinnerung an das von schwedischen Truppen angerichtete Elend hat sich bis weit in unsere Zeit erhalten, oft verzerrt und verdreht, aber doch vorhanden wie ein unauslöschliches Stück Narbengewebe, das nach 300 Jahren noch immer vage schmerzt. Bis in das 20 . Jahrhundert haben deutsche Kinder den Reim «Bet, Kind, bet, morgen kommt der Schwed» gelernt und ist ihnen mit Axel Oxenstierna Angst eingejagt worden. Weniger bekannt ist, dass das Gleiche auch für tschechische Kinder gilt, die zu hören bekamen «Der Schwede kommt und holt dich» oder «Lauf, der Schwede kommt, er ist schon an der Ecke». In Böhmen wurde der Krieg später «die Schwedenzeit» genannt, und «schwedisch» wurde zum Schimpfwort, das Diebe und Landstreicher oder ungewöhnlich rohe Menschen bezeichnete. (Das Gleiche gilt auch für andere Teile des früheren deutschen Reiches, wie zum Beispiel Schwaben und Burgund.)
    Viel von dem bodenlosen Elend dieses Krieges entsprang dem Unvermögen der Befehlshaber, ihre Leute zu zügeln, ein Problem, das mit der Zeit immer gravierender wurde. Nicht genug damit, dass die regulären Soldaten so schlecht in Schach zu halten waren. In der Umgebung der Heere gab es Scharen von Freibeutern, die es ablehnten, sich unterzuordnen, und mit ihren Kompanien auf eigene Raubzüge gingen. Solche kleinen Einheiten waren nichts anderes als Banditenhaufen in geflickten Uniformen, und es gab sie in ganz Deutschland. Sie zeigten ein sehr geringes Interesse für die Ziele des Krieges und die Pläne der Befehlshaber; sie widmeten sich nur dem Raub von Nahrung für den Augenblick, während sie gleichzeitig taten, was sie konnten, um den wirklichen Kämpfen aus dem Weg zu gehen. Diese Marodeure hat Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen im «Simplicius Simplicissimus» geschildert:
    … da siehet man sie haufenweis beieinander (wie die Feldhühner im Winter) hinter den Hecken, im Schatten oder nach ihrer Gelegenheit an der Sonnen oder irgends um ein Feur herumliegen, Tabak zu saufen und zu faulenzen, wenn unterdessen anderwärts ein rechtschaffener Soldat beim Fähnlein Hitz, Durst, Hunger, Frost und allerhand Elend überstehet. Dort geht eine Schar neben dem Marsch her auf die Mauserei, wenn indessen manch armer Soldat vor Mattigkeit unter seinen Waffen versinken möchte. Sie spolieren vor, hinter und neben der Armee alles was sie antreffen …
    Wenn die normale Versorgung in einem Heer zusammenbrach, verließen regelmäßig immer mehr Soldaten ihre Verbände und schlossen sich den Marodeuren an. Aber auch wenn verschiedene Befehlshaber von Zeit zu Zeit eine Eingebung hatten und jeden, der nicht die richtigen und von den richtigen Kommandeuren ausgefertigten Pässe hatte, aufspüren und niederschießen ließen, war es dennoch nahezu unmöglich, des Problems Herr zu werden. Aber die Menschen, die im Herbst 1639 in Böhmen lebten, litten nicht nur unter der Gewalttätigkeit und Raublust einzelner Soldaten. Sie wurden darüber hinaus Opfer eines schlimmeren und bedeutend verheerenderen Phänomens. In diesem und in allen anderen Kriegen dieser Epoche kamen Massaker an der Zivilbevölkerung vor. Sie wurden jedoch in der Regel von Soldaten verübt, die aufgrund des im Kampf entstandenen Drucks oder unter Alkoholeinfluss oder aus einem anderen Grund Amok liefen. Viele von diesen Untaten wurden von den Befehlshabern toleriert, ja, es kam hier und da vor, dass diese insgeheim dazu ermunterten; sie waren indessen nie das Resultat einer durchdachten, offiziellen Politik. Etwas Derartiges sollte erst auftreten, nachdem Jahrhunderte großartiger Entwicklung Europa in das aufgeklärte 20 . Jahrhundert geführt hatten. Die schwedische Armee glich am ehesten einem Riesen, der nur beiläufig daran interessiert war, wohin er seine ungeheuren Stiefel setzte, die alles, was unter sie geriet, zermalmten und zerbrachen, und nicht selten traf es gerade das, für das er zu kämpfen behauptete. Meistens war die Zerstörung gleichsam ein Nebeneffekt, etwas, das leider vorkam, wenn ein tollpatschiger Riese in Waffen umherspazierte. Zuweilen jedoch wurde der Riese von dumpfer Raserei befallen und begann zu stampfen und zu

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