Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges

Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges

Titel: Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
Vom Netzwerk:
sein konnte, als es aufzufrischen begann. Es war gegen Abend, und in der Dunkelheit und wegen des Windes wagte man nicht, sich den Schären zu nähern. Während der Nacht steigerte sich der starke Wind zum Sturm, und unter den Passagieren brach Panik aus. Es stürmte den ganzen folgenden Tag, und das Schiff trieb willenlos vor dem Wind. Als man schließlich Land sichtete, zeigte sich, dass es Gotland war, doch wagte man nicht, die Insel anzulaufen, weil sie dänisch war. Am vierten Tag erreichte das Schiff schließlich einen guten Hafen. Es war Kalmar. Man war also wieder am Ausgangspunkt. Der Launen des Meeres überdrüssig beschloss die Gesellschaft, lieber den Landweg nach Stockholm zu nehmen. Dass Seereisen unsichere Unternehmungen waren, die in einem unregelmäßigen und sprunghaften Tempo abliefen, nahm man indessen als gegeben hin, und niemandem wäre es eingefallen, in übertriebene Klagen über diese unergründliche Ordnung der Natur auszubrechen.
    Nein, das Gefühl, das den Seereisenden am meisten bewegte, war nicht die moderne Ungeduld angesichts aller unvorhersehbaren Hindernisse, es war vielmehr die Furcht. Denn es war wie gesagt gefährlich, sich auf See zu begeben. Stürme, plötzliche Wetterumschwünge, widrige Strömungen, gefährliche Riffe, unkartierte Untiefen und sogar Seeräuber, damit mussten alle rechnen, wenn sie über das Meer fahren wollten. Der Schiffbruch – eines der geläufigsten Motive in der zeitgenössischen Marinemalerei – war ein ständig drohendes Risiko, und jeder, der viel reiste, konnte damit rechnen, zumindest einmal in seinem Leben Schiffbruch zu erleiden. Ganz zu schweigen von der Flaute, die ein Schiff in absoluter Unbeweglichkeit festhalten konnte, während die Besatzung und die Passagiere an Durst und Hunger dahinstarben. Für viele war das Meer
der
große Schrecken, und man befuhr es nur widerwillig. (Dies unter anderem macht die großen Entdeckungsreisen als menschliche Leistung so imponierend.) Dass das Meer gefürchtet war, lag jedoch nicht nur daran, dass es so gefahrvoll war, auf ihm zu reisen. Von jeher war das Meer auch das Einfallstor für feindliche Eroberer und große Epidemien. Außerdem hatten die Menschen Angst vor der Natur, und im Meer gab es im Übermaß all das, was die Natur so erschreckend machte: die Endlosigkeit, die Launenhaftigkeit und ihre Fülle an unbekannten, gefährlichen Wesen, die ständig mit ihren unsichtbaren Mäulern nach den Menschen schnappten. Die Angst vor der See schlug häufig in einen Glauben an Seeungeheuer um, die die Grausamkeit und Kraft des Meeres personifizierten und das Unbekannte etwas fassbarer machten.
    Erik war vierzehn Jahre alt, als er dort in der Sommerhitze an der Reling des in der Windstille gefangenen Schiffes stand. Er kannte natürlich all diese Geschichten, und in dem stillen und klaren Wasser meinte er, dann und wann sonderbare Meereswesen wahrzunehmen. In dem Tagebuch, das er gerade zu führen begonnen hat, spricht er davon, dass er «allerlei Arten seltsamer und wunderlicher Tiere [sah], uns ganz unbekannt». Es ist eine interessante Episode, denn sie gibt uns einen weiteren Anhaltspunkt für die Persönlichkeit des Jungen. Sie zeigt, dass er nicht nur ein intelligenter und fleißiger Junge war, sondern dass er auch über eine lebhafte Phantasie verfügte. Vielleicht war diese ein wichtiger Teil seines Schutzes gewesen, als er allein in die Welt hinausgeworfen wurde? Wie auch immer, jener Reichtum an Phantasie, der von einem künstlerischen Temperament zeugte, sollte sich in seinem zukünftigen Leben als ein Gewinn erweisen.
    Was sah er? Vielleicht waren es Tümmler, wahrscheinlich waren es Wale. Die Kenntnisse über diese Tiere waren noch höchst unvollständig. Noch keine 100 Jahre waren vergangen, seit die französischen Naturforscher Belon und Rondelet erklärt hatten, dass der Wal kein Seeungeheuer, sondern ihrer Ansicht nach nur ein Fisch sei, wenn auch von kolossalen Proportionen. Trotzdem war er immer noch in hohem Grad ein mystisches Wesen, dessen Offenbarung die wildwüchsige Flora von Mythen und Geschichten über das unbekannte Meer und seine wunderbaren Bewohner weiterwuchern ließ. Wenn von Zeit zu Zeit ein Wal an einem flachen Strand in Europa strandete, weckte dies in der Regel ungeheures Aufsehen. Es wurde als großes und ominöses Wahrzeichen gedeutet, eine Vorankündigung kommenden Glücks oder Unglücks, je nach der Gemütsverfassung des Deutenden und der Stimmungslage der Zeit.

Weitere Kostenlose Bücher