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Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges

Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges

Titel: Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
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Armeen waren also nicht so strikt eingeschlechtlich wie heute, was bedeutet, dass es relativ gute Möglichkeiten zu mehr oder weniger zufälligen Kontakten mit dem anderen Geschlecht gab – außerdem gab es Homosexualität. Als sei dies nicht ausreichend gewesen, war Vergewaltigung – wie Plündern und Rauben – eines der Verbrechen, deren die Soldaten am allermeisten beschuldigt wurden.
    Dass die Moralbegriffe in den Heeren in Auflösung gerieten, war eigentlich nicht verwunderlich. Die Disziplin in den Armeen war lasch; und wie konnte es auch anders sein, wenn selbst höhere Offiziere gegen die bestehenden Bestimmungen verstießen. Noch schlimmer wurde es dadurch, dass die Durchsetzung der disziplinarischen Regeln mit solch großartiger Inkonsequenz betrieben wurde; manchmal wurden Übertretungen hart bestraft, manchmal gar nicht, und was in dem einen Regiment, das von einem ungewöhnlich barschen Obersten geführt wurde, streng verboten war, konnte in einem anderen unbeanstandet durchgehen. Außerdem kann man schlecht erwarten, dass eine Gruppe, die daran gewöhnt ist, mehr oder weniger hemmungslos andere Menschen zu töten, sich in anderen Bereichen als Muster an Tugend erweist – und es ist unmöglich, mit Empörung zu reagieren, wenn sie es nicht tut. Alles, vom Krieg und der wirtschaftlichen Krise bis zu den theologischen Streitereien und den großen Umwälzungen, die in der Wissenschaft stattfanden, hatte in Europa ein Gefühl von fundamentaler Unsicherheit hervorgebracht: Was ist Ordnung? Was ist Wahrheit? Was ist die wirkliche Macht? Worauf kann man bauen? Am weitesten schien diese Ungewissheit in den Ansammlungen wurzelloser, desillusionierter und verrohter Männer fortgeschritten zu sein, die die Heere beider Seiten füllten und die dazu beitrugen, die Auffassung zu verbreiten, dass nahezu alles erlaubt sei.
    Letzteres spiegelt sich in der groben und reichlich mit Flüchen gespickten Sprache der Soldaten wider, die auch zeigte, dass in den Armeen so etwas wie eine eigene Kultur entstanden war, die neben der herkömmlichen existierte. (Das Europa des 17 . Jahrhunderts war in hohem Grad multikulturell, doch dies beruhte nicht so sehr auf der ethnischen Vielfalt – auch wenn es sie gab, am besten demonstriert durch die Gruppen von Zigeunern und Juden, die hier und da auf dem Kontinent eine unsichere Existenz führten – als vielmehr auf sozialen Unterschieden. Die Kultur auf dem Lande unterschied sich nämlich von der in der Stadt, und in den verschiedenen Milieus konnte man wiederum eine Reihe kleiner Untergruppen sehen, die ihre eigenen Varianten der vorherrschenden Kultur pflegten, beispielsweise Bettler, Seeleute und Diebe.) In diesen multiethnischen Heeren entwickelte sich ein Slang, der bisweilen so weit gehen konnte, dass er für jemanden, der kein Soldat war, kaum noch verständlich war. Die Grundlage dieses «Rotwelsch» bildete natürlich das Deutsche, aber es war gemischt mit Wörtern aus dem Jiddischen, der Zigeunersprache Romani, dem Französischen und Italienischen, aber auch mit Ausdrücken aus dem Ungarischen, Türkischen und Schwedischen – aus dem Schwedischen wurden die Wörter «Flick» für Junge [eigentlich schwed.
flicka
= Mädchen; A.d.Ü.] und möglicherweise «Flinte» für Büchse genommen, Letzteres wahrscheinlich von
flinta
, Feuerstein. Und Außenstehende, die trotz allem begriffen, was gesagt wurde, konnten, wie Grimmelshausen sagt, die Männer «sich ihrer Bosheit, Sünd, Schand und Laster rühmen» hören.
    So klingt es täglich in den Ohren des Simplicius, wenn er den Gesprächen der Männer zuhört:
    Potz Blut, wie haben wir gestern gesoffen! Ich hab mich in einem Tag wohl dreimal voll gesoffen, und ebenso vielmal gekotzt. Potz Stern, wie haben wir die Bauren, die Schelmen, tribuliert. Potz Strahl, wie haben wir Beuten gemacht. Potz hundert Gift, wie haben wir einen Spaß mit den Weibern und Mägden gehabt.
    Oder:
    Ich hab ihn daniedergehauen, als wenn ihn der Hagel hätte niedergeschlagen. Ich hab ihn geschossen, daß er das Weiß über sich kehrte. Ich hab ihn so artlich über den Dölpel geworfen, daß ihn der Teufel hätte holen mögen. Ich hab ihm den Stein gestoßen, daß er den Hals hätt brechen mögen.
    Was sagen wir also über diesen lasterhaften, fluchenden Landsknecht, der nun zu einer Art Symbol des Dreißigjährigen Kriegs geworden war? War er ein Übeltäter, oder war er nur ein Opfer? Das ist eine schwierige Frage, weil es nicht möglich ist, alle

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