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Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges

Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges

Titel: Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
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nicht weniger als 62 – war desertiert. Kriegsmüdigkeit und nachlassende Kampfmoral beschleunigten den Zerfall, aber dies alles wurde noch verschlimmert dadurch, dass die schwedische Kriegskasse leer war und Wrangel den Sold für die Mannschaften und Offiziere nicht mehr bezahlen konnte. Der Geldmangel wirkte sich wie immer direkt auf die Operationen aus: Die Krieger wollten erst marschieren, wenn sie ihren Sold bekommen hatten. Der finanzielle Stützpfeiler Nummer eins der schwedischen Armee, Adler Salvius, musste wieder einmal zu einem Löscheinsatz ausrücken und noch mehr Geld leihen, um die Armee zu bezahlen, bevor sie auseinanderbrach. Und der Feind drängte immer härter nach. Es war offenbar, dass er versuchte, die unterlegenen Schweden einzuholen und sie zu schlagen.
    Der Zusammenbruch war nahe – wieder einmal.
    Die gewundene Schlange von schwankenden Wagen, müden Fußsoldaten und durchnässten Reitern bog auf aufgeweichten Wegen nach Westen ab. Die Schweden hatten seit dem Beginn der Kampagne im Juni eine Bewegung durch Mitteldeutschland vollführt, die einem abgerundeten U glich. Wrangel suchte Entsatz und Schutz bei den Franzosen. Gleichzeitig tat er sein Bestes, um Kontakt zu dem eigensinnigen Königsmarck und seinem Korps zu bekommen, die zu diesem Zeitpunkt in Westfalen umherstapften. Wie üblich weigerte sich Königsmarck, dem Verlangen seines Oberbefehlshabers nachzukommen, aber Wrangel sandte ihm weiter flehentliche Briefe.
    Da geschah es. Die verfolgenden kaiserlichen und bayerischen Truppen hoben die Nasen von der Fährte, wichen ab und brachen unter gewohntem Plündern, Brennen und Brandschatzen in Hessen ein, das mit den Schweden verbündet war. Der kaiserliche Befehlshaber Holzapel und sein bayerischer Kollege Gronsfeld lagen sich ständig in den Haaren und hatten Schwierigkeiten, sich über irgendetwas zu einigen, doch der Erstgenannte hatte die Bayern gezwungen, der Invasion Hessens zuzustimmen und die Verfolgung der Schweden abzubrechen. Die herbstlich aufgeweichten Wege wurden mit fortschreitender Jahreszeit nur immer schlechter, und außerdem war es schwierig, die Truppen zu unterhalten. (Man flüsterte auch, dass Holzapel, der früher faktisch in hessischen Diensten gestanden hatte, den Einmarsch wünschte, weil er die hessische Landgräfin zwingen wollte, ihm noch ausstehenden Sold zu bezahlen.) Wieder brach ein zäher Partisanenkrieg aus. Die trotzigen hessischen Bauern, die überwiegend Calvinisten waren, zogen sich in die befestigten Städte zurück oder verschanzten sich in den Wäldern und Bergen. Nicht dass es ihnen gelungen wäre, die Angreifer zurückzuschlagen; nach einer Zeit systematischer Verheerungen war Hessen so gut wie leergefegt. Doch hatte die hessische Landbevölkerung durch ihren zähen Widerstand der Armee Wrangels, die sich währenddessen ihren Verfolgern entzogen hatte, wertvolle Zeit erkauft. Anfang November geruhte Königsmarck endlich, seine Truppen mit der Hauptarmee zu vereinigen, was bedeutete, dass das Kräfteverhältnis etwas ausgeglichener war. Die Krise war praktisch vorüber.
    Anfang Februar 1648 hatte sich das U zu einem vollen Kreis geschlossen: Wrangels Armee marschierte aufs Neue nach Süden und traf westlich von Schweinfurt Turenne und seine 8200 Mann starke Armee. Angesichts der Bedrohung durch die vereinigten Armeen wichen die Kaiserlichen und die Bayern zurück nach Bayern, während sich ihre Befehlshaber immer wieder in lautstarke Dispute über militärische Mittel und Ziele verloren. Sie wollten Bayern gegen eine neue Invasion verteidigen, doch es war fraglich, ob das noch möglich war. Das Land war nach den furchtbaren Verheerungen des Jahres 1646 verödet, und je näher sie diesem Gebiet kamen, desto schwieriger wurde es, die Truppen zu ernähren. Mitte April waren die kaiserlichen und bayerischen Truppen südlich der Donau gruppiert und bereit, dem erwarteten Vorstoß der Schweden und Franzosen zu begegnen.
    Bald trat das Unausweichliche ein. Die Vorräte gingen zur Neige, und Hungersnot verbreitete sich unter den Wartenden. Nahegelegene Magazine konnten jeden Tag 40 000 Personen mit Brot versorgen, doch das reichte nicht aus, denn wie üblich folgten große Scharen von Zivilisten der Armee: Knechte, Trossburschen, Handlanger, Flüchtlinge, Marodeure, Frauen, Kinder und andere Familienmitglieder, die zusammen mit den Soldaten die für das 17 . Jahrhundert unvorstellbare Volksmasse von 180 000 Individuen bildeten. (Man halte sich vor

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