Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges
Augen, dass zu dieser Zeit ein Ort mit 30 000 Einwohnern als Großstadt galt.) Es kamen also auf jeden Soldaten drei bis vier Zivilisten. Wie sollen wir ein solches Phänomen erklären? Die einfachste Antwort muss wohl lauten, dass die Anarchie in diesem Teil Deutschlands 1648 ein solches Ausmaß erreicht hatte, dass es sicherer war, sich innerhalb einer Armee zu befinden als außerhalb.
Diese formlose Menschenmasse ergoss sich wie ein Lavastrom langsam über die Landschaft und ließ sie auch, wie die Lava, nackt und verwüstet hinter sich zurück. Als nun die Lebensmittelversorgung nicht mehr ausreichte, schwärmten Banden von Zivilisten und Soldaten in alle Himmelsrichtungen aus und zogen von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt. Noch ein kleiner Krieg im Krieg flammte auf, als die Bauern auf dem Land zu den Waffen griffen, um sich und ihre Vorräte vor den Scharen von hohläugigen, hungernden Frauen und Männern zu schützen, die überall auf Nahrungssuche waren. Die Einwohnerzahl der Städte war nach den Notzeiten der vergangenen Jahre stark zurückgegangen, aber die noch verbliebenen bayerischen Bürger bemannten die Mauern Tag und Nacht, um die Plünderer abzuwehren. Auch die kämpfenden Truppen boten ein Bild von Verwahrlosung und Verfall. Dies galt besonders für die kaiserlichen Truppen; die Reiterei hatte keine Pferde und bestand zur Hälfte aus ungeübten und unerfahrenen Rekruten, die meisten Musketiere hatten schlechte oder keine Schusswaffen, und die Disziplin war unter aller Kritik – der Sold war wieder ausgeblieben. Auch die sonst so hartgesottenen und geordneten bayerischen Regimenter zeigten Auflösungserscheinungen. Außerdem lagen sich die kaiserliche und die bayerische Führung ständig in den Haaren. Die zwei Oberbefehlshaber Holzapel und der Bayer Gronsfeld waren inzwischen, sofern dies noch möglich war, noch uneiniger und stritten sich um alles und jedes – bei einer solchen Gelegenheit war der vollkommen außer sich geratene Gronsfeld im Begriff, mit gezogenem Degen auf seinen Kollegen loszugehen, wurde aber im letzten Augenblick von zwei seiner Generale zurückgehalten. Diese Uneinigkeit (die Wrangels Armee im Herbst 1647 gerettet hatte) war nicht so verwunderlich, wenn man bedenkt, dass die beiden von ihren jeweiligen Herrschern aus der Ferne gelenkt wurden und von zwei geheimen und teilweise widersprüchlichen Operationsplänen ausgingen. Die Bayern suchten in erster Linie ihr eigenes Land zu schützen und sahen aus Furcht vor einer Störung des Gleichgewichts der Macht im Reich nur ungern, dass der Kaiser einen großen und entscheidenden Sieg errang. Den Kaiserlichen hingegen lag wenig an Bayern. Sie hatten unter anderem so wenig für den Unterhalt ihrer eigenen Truppen dort getan, dass Kurfürst Maximilian drohte, die Versorgung der kaiserlichen Truppen mit Lebensmitteln einzustellen. Und während die höchsten Offiziere sich gegenseitig beschimpften, breitete sich die Uneinigkeit auch auf ihre Untergebenen aus. Während sie in den Hungerlagern hinter der Donau festlagen und abwarteten, was Schweden und Franzosen als Nächstes tun würden, vertrieben sich bayerische und kaiserliche Offiziere die Zeit mit lautstarken Streitereien um Rang und Vortritt.
Währenddessen warteten Wrangel und Turenne. Sie warteten darauf, dass ihre eigenen Streitkräfte sich erholt hatten, dass der kalte Regen nachließ, die Schneeschmelze vorüberging und der Wasserstand der Flüsse fallen und die gelbbraunen Felder grün würden. Am 1 . Mai 1648 brachen sie auf. Der Marsch ging zügig vonstatten. Sie bewegten sich geradewegs auf die Donau zu. Schon am 2 . Mai erreichten sie den Fluss. Dort hielten sie an. Die Frage war, wo sie den Fluss überqueren würden. Die Kaiserlichen wussten, dass sie mehrere gute Alternativen hatten. Die Bayern fürchteten, dass sie hinter ihrem Rücken die Donau überqueren und sich zwischen sie und Bayern schieben würden. Sie befürworteten einen Rückzug bis zum Lech, und nach einigen Tagen stimmte Holzapel zu – zweifellos spielten die schweren Versorgungsprobleme eine entscheidende Rolle, als die Kaiserlichen nun die Donaulinie kampflos aufgaben. Die schwer bewegliche Masse von Soldaten, Wagen, Kanonen und über 100 000 Zivilpersonen setzte sich langsam durch die bewaldete und hügelige Landschaft nach hinten in Bewegung. Am Abend des 4 . Mai erreichte die Spitze der auseinandergezogenen, wimmelnden Kolonnen Zusmarshausen, ein kleines Dorf mit einer von Häusern und
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