Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges
und auf diese Weise in immer größeren Auflagen unter immer mehr Menschen verbreitet. In Frankreich und Deutschland waren viele Bücher (nicht selten klein und ungebunden, sogenannte Broschüren) so billig, dass auch die breiten Schichten sie kaufen konnten. Die Bandbreite war groß, von astrologischen und – natürlich – theologischen Schriften, Satiren und medizinischen Werken, halb obszönen Anekdotensammlungen, Gedichten, Traumdeutungen bis zu Liedern, Abenteuerromanen und Reiseberichten. Erik Jönsson legte sich in diesen Jahren auch eine komplette kleine Bibliothek von mehreren hundert Bänden zu. Viele der Bücher belegen seinen Ehrgeiz, sich in den Tätigkeitsbereichen eines Fortifikateurs kundig und kompetent zu machen; viele Mathematik-und Geometrie-Lehrbücher füllten die Regale in seinem Zimmer – zum Beispiel Sinustabellen, Euklids
Elementa
und Stegmanns Buch über die Quadratur des Kreises –, andere Werke handelten von Festungsarbeiten und Kriegskunst – zum Beispiel Faulhabers
Ingenieurs Schuel
in zwei Bänden und ein Handbuch der Waffenlehre von Jacob de Genuis. Es gab auch eine kleinere Sammlung von Kupferstichen und Kunstdrucken. Eine Bibel, einige theologische Texte, Gesang-und Gebetbücher vermitteln eine Vorstellung von seiner Frömmigkeit, aber daneben standen auch zahlreiche Werke über Astrologie, Kometen und Prophezeiungen. Genau wie seine Zeitgenossen scheint er an allen Himmelserscheinungen und dem, was sie zu sagen hatten, interessiert gewesen zu sein. Aber dieser junge Mann sehnte sich nicht nur danach, mit Hilfe eifriger Selbststudien und Kenntnisse über die geheimen Codes der Sterne in der Welt voranzukommen, sondern auch danach, in sie hinauszukommen; mit den Jahren schaffte sich Erik eine Reihe topographischer Schilderungen verschiedener Länder an, Reisebeschreibungen und sogenannte Itinerare, also eine Art Wegbeschreibung für Reisende. An reiner Unterhaltungsliteratur gab es nicht viel, doch das, was er sich anschaffte, bezeugt einen recht guten literarischen Geschmack mit einer Neigung zum Humoristischen; auf seinem Bücherregal stand nämlich Cervantes’ damals gut 40 Jahre alter
Don Quijote
sowie Rabelais’
Pantagruel.
Das Bücherregal gibt auch einen wichtigen Hinweis auf das politische Weltbild des jungen Manns. Sowohl
Don Quijote
als auch
Pantagruel
enthalten kritische Züge, die sich gegen die bestehenden Verhältnisse richten, doch interessanter ist, dass Eriks Bibliothek neben Machiavellis Buch über den Krieg auch ein Exemplar des Romans
Argenis
des Schotten John Barclay enthielt. Dieses Buch hatte die Form einer romantischen Abenteuererzählung, aber sein eigentlicher Kern war eindeutig kritisch und kontrovers. Es hatte seit seinem Erscheinen 1621 auch überall in Europa viele Leser erreicht, und manche Aristokraten hielten es für geradezu gefährlich. Die Handlung spielt im antiken Sizilien und schildert auf umständliche Weise eine Adelsrevolte und ihre Niederschlagung. Das große politische Problem ist laut Barclay die Macht der Aristokratie: dass einige wenige hochadlige Familien einen Großteil der wichtigsten Bereiche in einem Land beherrschen und den Monarchen schwach und handlungsunfähig machen. Dies führt Barclay zufolge nur zu Zerfall. In
Argenis
wird stattdessen dafür plädiert, die politische und wirtschaftliche Potenz der Blaublütigen zu beschneiden, eine kraftvolle und handlungsfähige Königsmacht einzuführen, ein starkes stehendes Heer zu schaffen – das von fähigen Leuten aus den Mittelschichten geführt wird – und dann das Reich zu einer Einheit jenseits aller regionalen Besonderheiten und kulturellen Unterschiede zusammenzuschmieden: ein Volk, ein Blut, ein Gesetz. Eine Schöpfung, in der Staat und Nation zusammenfallen. Also ein
Nationalstaat.
Barclays voluminöses Pamphlet von über 1200 Seiten war ein beredter Ausdruck der absolutistischen Strömungen, die zu dieser Zeit in Europa immer stärker in Erscheinung traten. Wir wissen nicht, was Erik eigentlich von
Argenis
hielt, doch allein die Tatsache, dass er es kaufte, spricht für sein großes Interesse. Und gerade Personen seines Zuschnitts – Leute aus einer bürgerlichen Mittelschicht, die sich nach einer glanzvollen Karriere im Schutz eines kraftvollen Staates sehnten – machten sich natürlich Barclays Botschaft zu eigen.
Wir stellen uns hier einen jungen Mann vor, fromm und mit einer gewissen Vorliebe für Astrologie, nicht ohne Humor, künstlerisch veranlagt und mit
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