Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges
der Belagerung von Prag einen Führer, zwei Rüstmeister und 48 Korporale und Gemeine verloren hatte, blieb bis zum Sommer 1650 in Prag. Erst im Mai 1654 war die Rückführung der schwedischen Truppen abgeschlossen.
Die ausgehobenen gemeinen Soldaten, die nach Hause kamen, erhielten ein Abdankungsgeld von sechs Reichstalern, wenn sie Fußsoldaten, und 16 , 5 Reichstaler, wenn sie Reiter waren. Die Waffen wurden eingesammelt und in königlichen Schlössern und Rüstkammern an verschiedenen Orten im Reich oder in den nächstgelegenen Kirchen deponiert. Dann durften sie gehen. An vielen Orten, so beispielsweise in Östergötland, hatten die ausgedienten Soldaten kein Zuhause, in das sie zurückkehren konnten, keinen Ort, «wo sie mit ihren Frauen und Kindern unterkriechen konnten». Viele waren gezwungen, einen langen und schweren Kriegsdienst, bei dem alle Leben und Gesundheit aufs Spiel gesetzt und viele das eine oder das andere geopfert hatten, mit erniedrigender Bettelei abzuschließen. Auf mehreren Stadtansichten, die Erik Jönsson später zeichnete, sind sie zu sehen, die bettelnden menschlichen Wracks mit Beinstümpfen, die sich mit Hilfe kleiner Holzböcke vorwärtsschleppen, die zerlumpten Kriegsinvaliden mit zerschossenen Gliedern, die an ihren groben Krücken umherhumpeln. Ein Bild ist besonders eindrucksvoll. Es zeigt Mynttorget in Stockholm, und es ist Winter: Der Platz wimmelt von Menschen, Wagen, Schlitten und Pferden. Zwischen den Stapeln von Heu, Brennholz und Balken, neben den unter ihren Lasten gebeugten Trägern, promenierenden Damen, alten Frauen, Russen mit Pelzmützen und Bauern mit Kapuzen erkennt man ihn: einen Mann ohne Beine. Er sitzt auf einem kleinen Schlitten. Er streckt seinen verschlissenen Hut zwei jungen und schön gekleideten Edelleuten entgegen; der eine trägt eine lange Perücke und hat die Hände in einen Muff gesteckt – es ist kalt. Vielleicht war es eine Vollkugel bei Brünn, die dem Invaliden die Beine abriss, vielleicht hat der Wundbrand in Wolgast sie genommen; vielleicht hat er einst unter dem Vater eines der jungen Männer gedient; vielleicht war er – oder seine Beine? – eins der zahlreichen Sandkörnchen in dem Stundenglas der Geschichte, das am Ende noch einen Titel oder noch ein Gut in die Hände des Geschlechts der jungen Männer legte, das damit noch mindestens 400 Jahre prahlen würde. Und der Mann ohne Beine streckt seinen Hut aus. Er bittet um ein Almosen. Aber die beiden Männer gehen vorüber. Sie tun so, als sähen sie ihn nicht, dieses Wrack, das nicht laufen kann. Mit einer ebenso vergeblichen wie bittenden Geste hält er weiter den Hut hin, aber sie haben ihm bereits den Rücken zugewandt. Sie haben ihn schon vergessen, eine dieser unzähligen schweigenden, kaputten, zerbrochenen, traurigen Gestalten, die sämtliche Lasten der Kriegspolitik getragen, doch nichts von ihren Früchten genossen und mit ihrem Blut die große und unbarmherzig mahlende Maschinerie des Krieges geschmiert haben.
Der Friede brachte auch für Erik Jönsson Veränderungen mit sich. Er blieb als Kondukteur in Demmin, doch die Hektik seiner Aktivitäten ließ nach. An der Wand seines Zimmers in Demmin hingen zwei einfache Porträts, eins von Christina und eins von Gustav Adolf, was darauf schließen lässt, dass er, wenn nicht direkt royalistisch gesinnt, so auf jeden Fall von einem starken Gefühl der Loyalität zur schwedischen Königsmacht geprägt war. Zu dieser Zeit war sein Zimmer auch mit Papieren, Zeichnungen, Kupferstichen und Büchern angefüllt, die in mehrfacher Hinsicht eine ganze Menge über seine Interessen und Träume verraten. Briefbündel, unbenutztes Papier im Folioformat, Rechnungen, Rollen, Verproviantierungspläne und Zeichnungen befestigter Orte und Festungen zeugen von seiner Energie, während seine Buchsammlung seinen Wissensdurst und seine weitgespannten Ambitionen verrät. Die gleiche schnelle Entwicklung in der Druckerei-und Verlagsbranche, die eine üppige Flora von Nachrichtenblättern hervorgebracht hatte, führte auch zur Entstehung eines wirklichen Buchmarkts. In Schweden erschienen in jedem Jahrzehnt während des 17 . Jahrhunderts zwischen 1000 und 2000 Titel, aber sie waren noch teuer – so musste eine Magd für ein kleines Andachtsbuch ihren gesamten Jahreslohn opfern. Draußen auf dem Kontinent war dies anders. Literarische Werke der unterschiedlichsten Art wurden in kleinen Läden in den Städten oder von Hausierern auf dem Lande verkauft
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