Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges
einem feinen Schönheitssinn ausgestattet, eine Person, die, um sich auszuzeichnen und die großen Lücken in ihrer Bildung auszufüllen, emsige Selbststudien betreibt, treu ihren Pflichten nachkommt, sich aber nach fernen Ländern sehnt; ein Mensch, der auch angefangen hat, sich für ein wenig radikale politische Ideen zu interessieren, die besagen, dass die Erlösung von den Übeln der Zeit von einem starken Zentrum kommen muss.
Je mehr sich der Friede über Land und Leute herabsenkte, desto mehr verloren die Festungen an Bedeutung, und Mardefelt begann, seinem Untergebenen auch ausgesprochen zivile Tätigkeiten zuzuweisen. Unter anderem schickte er seinen jungen Kondukteur in einer Geldangelegenheit zum Pfalzgrafen Karl Gustav. Dort angekommen, begleitete der stets neugierige Erik den Pfalzgrafen und seine Generalität, als sie einen Höflichkeitsbesuch bei dem katholischen Kurfürsten von Mainz abstatteten, der sich zu diesem Zeitpunkt in Würzburg befand. Der Besuch erforderte umfangreiche und komplizierte Vorbereitungen, denn Karl Gustavs gesamtes Gefolge umfasste nicht weniger als 1500 Personen. Die Reise nach Würzburg führte durch eine schöne Landschaft, die vom Krieg kaum berührt war. Da waren, schreibt Erik begeistert in sein Tagebuch, «lauter Weinberge, Äcker und Wiesen, die mit fruchtbaren Bäumen bepflanzt sind wie Mandeln, Aprikosen, Pfirsiche, Pflaumen, Äpfel, Kirschen und Birnen». Dieser kleine Ausbruch ist interessant. Es ist nämlich selten, dass Erik in seinem Tagebuch etwas über die Natur sagt, doch wenn er es tut, ist es in der Regel gerade der Anblick einer schön kultivierten Landschaft, der ihn erfreut. Seine Reaktion ist in vielfacher Hinsicht typisch.
Obgleich sich im 17 . Jahrhundert der Kapitalismus endgültig durchsetzte, war die Gesellschaft doch noch in hohem Maß agrarisch geprägt. Der Boden, der Acker, die Landwirtschaft stellten die Grundlage der menschlichen Existenz dar – nichts anderes. Der Mensch sah sich in einem ewigen Kampf mit einer launischen und tyrannischen Natur, die ständig drohte, ihn zu überwältigen. Die Natur war gefährlich. Die Natur war eine Bedrohung. Vieles von dem, was uns heute begeistert, erfüllte den Menschen des 17 . Jahrhunderts mit Abscheu oder Schrecken. Das große Meer schreckte alle durch seine wilde Unendlichkeit. Die hohen Berge wurden nicht selten «scheußlich» genannt und als «Mißbildungen», «Warzen» oder «Beulen» bezeichnet. Zum Teil ging dieser Abscheu vor den Bergen auf die Vorstellung zurück, dass die Erde vor der Sintflut glatt wie ein Ei gewesen sei, aber das ganze Wasser die schöne ebenmäßige Oberfläche zerstört habe; andererseits war der Aufenthalt in den Bergen gefährlich, und sie trotzten allen Versuchen, sie zu kultivieren. Der Wald wurde mit ähnlich ungnädigen Blicken betrachtet, denn auch er galt als überaus unfruchtbarer und gefährlicher Bereich, ein ewiges Versteck für seltsame, übernatürliche Wesen, für Räuber und andere wilde Existenzen. In einem Handbuch für Poeten aus der Mitte des Jahrhunderts finden sich auch die Wörter «finster», «unheimlich», «einsam» und «gespenstisch» als passende Attribute für das Wort «Wald». Die Wälder sahen in dieser Epoche auch nicht so aus wie unsere Wälder. Sie wurden nie gepflegt, sondern hart genutzt, als Weide für das Vieh und als Rohstoffquelle für Baumaterial und Brennholz. Die Bäume konnten selten so in die Höhe wachsen wie heutzutage, sondern wurden geschlagen, wenn sie noch recht klein waren. Die Wälder waren deshalb niedrige, eher ungepflegte und undurchdringliche Dickichte und galten als ein Gräuel, ein steriler Fluch, der nur nach Rodung und Kultivierung schrie. Etwas Schönes konnte man unmöglich in ihnen sehen.
Diese agrarische Gesellschaft, in der die Bedrohung durch Missernten und Hunger stets im Hintergrund lauerte, huldigte der Fruchtbarkeit. Das Kultivierte und Gezähmte war das Schöne. Deshalb freute sich Erik so darüber, eine Landschaft zu sehen, die aus «lauter» Weinbergen, Äckern, Wiesen und Obstbäumen bestand, wo keine Spuren der hässlichen und kargen Wildnis mehr zu sehen waren. Die Kombination von Abscheu und Furcht vor dem Wilden fand in dieser Zeit auch neue Ausdrucksformen. Auch die Pflanzungen wurden zunehmend von geraden Linien und militärischer Ordnung geprägt. Wie bereits gesagt, war das 17 . Jahrhundert eine Zeit, in der man von martialisch geometrischen Formen besessen war, und die Manie der
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