Verwüstung
scheint, als hätte der Panther ihre Tochter gefressen, aber diese Erinnerung kann falsch sein, ein Ergebnis des Hungers und Entsetzens, sie ist sich nicht sicher. Sie kann sich in nichts mehr sicher sein. Es ist möglich, dass ihre Tochter an Hunger und Durst stirbt, weil sie sich weigert, die Milch zu trinken. Es ist auch möglich, dass ihre Tochter tot geboren wurde.
Ihre Haare fallen in Büscheln aus. Der Hund ist so dünn, dass man die Rippen sehen kann. Ihr ganzer Körper tut weh, sie will so gern weinen, aber nur Wut und Hass ergießen sich aus ihr.
Sie und der Hund finden einen Platz, an dem sie sich nachtsüber verstecken, hier sind sie sicher vor den Affen, den Panthern, den halb verhungerten Skeletten, die durch die Ruinen streifen auf der Suche nach Essen. Es ist eine Höhle, verborgen unter eingestürzten Betonmauern und Bäumen. Sie weiß nicht, wie lange sie dort bleibt, sie schlägt Dosen mit Steinen auf. Doch eines Tages finden die Lastwagen sie. Soldaten in dicken Anzügen springen aus den LKWs und wollen wissen, wer sie ist, wie lange sie hier war, und sie lacht und lacht und bricht dann zusammen, sie schluchzt, sie bettelt sie an, ihr zu helfen, sie hier wegzuschaffen. Der Hund springt die Männer an, er knurrt, fletscht die Zähne, und sie stellen keine Fragen mehr. Sie eröffnen das Feuer.
Sie begräbt ihn neben der Stelle, an der sie ihre Tochter begraben hat, unter den Steinen, in der gleißend weißen Sonne, in einem namenlosen Grab. Dann geht sie weg.
Als die Lastwagen wiederkommen, kehrt auch sie zurück in der Hoffnung, dass sie Essen bringen, Wasser, Medikamente. Es sind Burger-King-Laster, und sie bringen Soldaten, die die Leichen einsammeln. Sie versteckt sich im Schutt, sie gräbt sich ein Loch zwischen den Steinen und quetscht ihren Körper tief in eine Spalte und rührt sich viele Stunden nicht. Sie treibt davon in einen traumlosen Schlaf, und als sie herauskriecht, ist es wieder dunkel, aber nicht leiser. Geister streifen jetzt durch die Ruinen. Sie kann sie sehen, durchsichtig, ziellos, verwirrt, die Toten schweben wie tief liegende Wolken über die Ruinen.
Mira kämpfte sich an die Oberfläche der Wirklichkeit und begriff, dass sie auf dem Rücken im Wasser lag, dass etwas Schweres auf ihren Beinen lag und sie einklemmte, sodass sie sich weder drehen noch aufstehen konnte. Es war vollkommen dunkel. Sie hörte das leise Klopfen des Regens, ein sanftes, fast freundliches Geräusch, und dahinter einen stetigen Wind. Aber keinen Hurrikan mehr. Ganz in der Nähe glaubte sie, jemanden durchs Wasser patschen zu hören.
Ihre Schulter pochte und fühlte sich geschwollen an, unförmig, und plötzlich begriff sie, dass sie immer noch mit Tia verbunden war, sie hatte in dem sicheren Raum ihre Verletzung angenommen. Darüber hinaus erinnerte sie sich an nichts, sie hatte keine Ahnung, wie sie dorthin gelangt war, wo sie jetzt war. Noch während sie darüber nachdachte, begann das Pochen abzunehmen. Ihr Körper absorbierte die Verletzung, veränderte sie, ließ sie los, etwas, was ihr widerfuhr, seit sie vor Jahren zum ersten Mal die Verletzungen eines Froschs angenommen hatte. Als der Schmerz sie verlassen hatte, rief sie nach Annie, Nadine, Shep, Ricki, den Katzen, irgendwem, ganz egal, hörte aber nichts. Es schien, als könnte sie keine Worte mehr bilden. Das Beste, was sie zustande brachte, war ein Tierlaut, halb Stöhnen, halb Betteln.
Ein Licht schien in ihre Augen, eine Männerstimme sagte: »Sie lebt.«
Shep? Ist das Shep? Warum leuchtet er mir mit der Taschenlampe in die Augen?
»Nimm ihre Beine, Baby, zieh sie raus.«
Baby. Sheppard nannte sie nie so.
»Sie hat mich mit dem Messer verletzt. Ich zieh sie nicht raus. Mach du das doch.«
»Meine Güte. Wir brauchen sie, um von der Insel zu verschwinden.«
»Wir müssen die anderen finden«, sagte Crystal beleidigt. »Vor allem Tia. Sie hat uns verraten.«
»Vergiss sie. Die liegen unter dem Rest der Mauer. Nimm ihre Arme, ich nehme die Beine. Wir tragen sie raus zum Hummer. Beeil dich, komm schon.«
»Aber wir wissen nicht sicher, ob das jetzt das Auge des Sturms ist – oder ob das Schlimmste vorüber ist. Und diese Stühle sind auf sie draufgeknallt, Billy. Vielleicht sind ihre Beine gebrochen. Wir können sie nicht mitnehmen, wenn ihre Beine gebrochen sind. Lass sie einfach da.«
»Es ist gar nichts gebrochen. Sie ist nur ein bisschen mitgenommen. Ich seh noch mal nach, okay?«
Er fuhr mit den Fingern über Miras
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