Verwüstung
weil Nadine die nächsten sechs bis acht Wochen ausfällt. Ich kann es mir nicht leisten, Nein zu sagen.«
»Shep kann doch etwas dazugeben«, schlug Annie vor.
»Der Laden gehört Nadine und mir, nicht Shep.«
Annie wollte noch etwas sagen, aber Mira hob den Zeigefinger an die Lippen. Sie hörten Nadines Rollstuhl durch den Flur klicken. Als Nadine wenige Augenblicke später in die Küche rollte, schaute sie beide streng an, als wäre sie ärgerlich.
»Ihr wart beide so laut, dass ich nicht anders konnte, als mitzuhören.« Sie fuhr mit ihren Fingen durch ihre kurzes, grau meliertes Haar und schob dann einen Bleistift in ihren Gips, um sich zu kratzen. »Und nur um das klarzustellen, Mira, ich kann sehr wohl Yogaunterricht geben und im Laden helfen, auch wenn ich im Rollstuhl sitze.«
»Ich weiß, dass du das kannst. Aber ich will nicht, dass du dich dazu verpflichtet fühlst, das ist alles.«
»Warum sollte sie einen Auftrag für diesen widerwärtigen Dillard annehmen?«, platzte Annie heraus. »Sag es ihr, Nana Nadine. Der Mann ist ein echter Idiot.«
»Das können wir nicht entscheiden, Annie.«
»Aber wir sollten uns darauf vorbereiten, die Insel zu verlassen, evakuiert zu werden.«
»Wir können nicht evakuiert werden«, sagte Mira. »Sheriff Emison hat die Brücke wegen des Ausbruchs aus dem Gefängnis gesperrt.«
»Was?« Annie guckte entsetzt. »Wie kann er das tun? Dort draußen ist ein Hurrikan, und Emison sperrt die Brücke? Was ist mit dem Mann los? Das muss doch verboten sein, oder?«
Mira zuckte die Achseln. »Ich weiß es nicht.«
Nadine hob die Hände in die Luft. »Beruhige dich, mi amor «, sagte sie zu Annie. »Im Moment haben wir bloß eine Hurrikan-Vorwarnung. Das heißt noch nicht, dass der Sturm uns wirklich treffen wird.«
Annie hob verzweifelt die Hände. »Ich lebe mit zwei Hellseherinnen zusammen, und keine von euch weiß, ob der Hurrikan uns erreicht oder nicht. Wirklich.«
Mira und Nadine tauschten einen Blick, und Mira wusste, dass sie genau dasselbe dachten – wenn es um einen Hurrikan ging, war es schwierig, Angst von echten hellseherischen Wahrnehmungen zu unterscheiden. Angst – nicht die Kenntnis der Zukunft – hatte sie dazu gebracht, über hundert Dollar für Essen, Trinken und Ausrüstungsgegenstände auszugeben.
»Es ist zu schwierig, etwas wie einen Hurrikan zu lesen«, sagte Nadine schließlich. »Und außerdem geht es im Moment nicht um den Hurrikan, sondern um Dillard.« Sie wandte Mira ihre dunklen Augen zu. »Wenn du Shep helfen willst, indem du diesen Auftrag für Dillard erledigst, dann tu es. Aber vergiss nicht, jedes Mal, wenn du einen Tatort liest, Mira, öffnest du ein spirituelles Tor zwischen dir und den Tätern.«
Verknüpfungen, dachte Mira.
Annie verdrehte die Augen, sie war offensichtlich genervt. »Moment mal, Nana Nadine. Wieso beschwerst du dich nicht darüber, dass Shep Mom in so etwas hineinzieht? Das hast du doch bisher immer getan?«
Nadine fuhr ihren Rollstuhl hinüber zum Kühlschrank, öffnete ihn und nahm sich einen Apfel. Dann rollte sie an den Tresen und begann, den Apfel zu vierteln.
»Nana?«
»Ich habe dich gehört«, sagte Nadine. »Ich denke darüber nach.«
»Was gibt es denn da nachzudenken?«
Sie drehte den Rollstuhl und sah Annie an. »Ich habe nie vorgegeben, Sheps Arbeit zu mögen, Annie. Aber Tatsache ist nun einmal, dass er jetzt zur Familie gehört, und dieser Dillard ist sein Boss. Wenn es Shep hilft, dass deine Mutter einen Tatort liest, ist das eine Sache. Aber wenn sie es des Geldes wegen tut, ist das etwas anderes.«
»Aber es war nicht Shep, der gefragt hat«, sagte Annie. »Das war Dillard. Er hat sie auf dem Handy angerufen, nicht Shep.«
»Shep hat Dillard wahrscheinlich gesagt, wenn er meine Hilfe will, soll er mich anrufen«, sagte Mira. »Was bedeutet, es ist für Shep in Ordnung, wie auch immer ich mich entscheide.«
»Es bedeutet natürlich, dass Sheppard ebenfalls diese Tür öffnet«, warnte Nadine. »Ist er bereit, mit den Konsequenzen zu leben? Bist du es?«
»Sind wir es?«, stimmte Annie ein und sah Nadine an. »Wir sind doch auch Teil ihrer Entscheidung.«
»Ach, vergesst es. Ich rufe ihn zurück und sage ihm, ich kann nicht«, entgegnete Mira genervt.
»Moment mal«, sagte Annie und hob die Hände. »Wenn sie diese Leute schnappen, öffnen sie dann wieder die Brücke?«
»Das hat Dillard mich jedenfalls glauben lassen.«
»Dann musst du es tun, Mom. Je eher die Brücke offen ist,
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