Verzaubert!
Gemächer, um sich am Anblick ihres Schatzes zu erfreuen.
Die junge Frau wurde mit parfümiertem Wasser gewaschen und dann von den Dienern in eine goldene Robe gehüllt. Sie erinnerte sich an die Worte der zweiten alten Frau und steckte ihr Haar mit dem verzauberten Kamm hoch.
Nachdem die Vorbereitungen abgeschlossen waren, folgte sie dem Diener in den Speisesaal. Der Raum war leer, und an der Tafel hatte man nur einen Platz für sie eingedeckt. Ein attraktiver Diener betrat den Saal durch eine andere Tür und servierte ihr zahlreiche delikate Leckerbissen.
“Werde ich denn nicht mit dem Prinzen zusammen speisen?”, fragte sie ihn.
“Du wirst ihn nach dem Essen sehen. Man wird dich zu ihm bringen und dir gewähren, ihn aus hundert Männern auszuwählen – oder einen anderen, den du wünschst.” Er sagte dies zwar höflich, aber mit einem selbstgefälligen Grinsen, sodass sie von seinen Worten zurückwich, als hätte er sie geschlagen.
“Ich bin lange unterwegs gewesen, um meinen Prinzen zu finden”, erwiderte sie stolz. “Du glaubst doch nicht allen Ernstes, ich könnte einen anderen Mann als ihn erwählen?”
“Nun, vielleicht wünsche ich mir, dass du das tun könntest”, antwortete er. “Denn du musst wissen, ich bin einer von den anderen neunundneunzig Männern, unter denen du ihn auswählen wirst.”
“Wir werden sehen”, erwiderte sie knapp. Doch bei sich dachte sie, dass der Prinz den Diener für seine frechen Worte sicher bestrafen würde, sobald sie ihn gefunden und geheiratet hatte! Sie aß schweigend von dem Mahl, das der Diener ihr serviert hatte.
Kurz nach dem Mahl wurde sie zu dem Raum geführt, in dem sie endlich ihren Prinzen wiedersehen sollte. Der Diener ließ sie an der Tür allein. Sie atmete tief durch, bevor sie die Tür öffnete und eintrat.
Die Stiefmutter des Prinzen stand vor ihr.
“Wo ist der Prinz?”, verlangte die junge Frau zu wissen. Sie wollte doch endlich zu ihrem Geliebten gelangen!
“Er ist hinter der nächsten Tür”, antwortete seine Schwiegermutter. Sie wies auf eine Tür am anderen Ende des Raums. Die junge Frau eilte auf die Tür zu.
“Aber bevor du dort hineingehst, sollst du ein paar Dinge wissen.” Die Alte lächelte böse. “In diesem Raum befinden sich hundert Männer. Jeder Einzelne von ihnen ist verzaubert, sodass keiner sich von dem Platz, an dem er steht, fortbewegen kann. Außerdem können sie nicht sprechen. Es war notwendig, das zu tun, denn wenn du den Prinzen wirklich liebst, musst du ihn ohne Hilfe unter all den Männern finden.”
“Ich brauche seine Stimme nicht zu hören, um ihn zu finden, noch muss er mir entgegenkommen”, erwiderte das Mädchen.
Die Stiefmutter ignorierte diesen Einwand. “Du warst es, die das Licht in die Dunkelheit gebracht hat. Deswegen musst du deinen Geliebten in der Dunkelheit finden.”
Die junge Frau keuchte entsetzt auf. “Du willst damit sagen, dass ich ihn unter neunundneunzig anderen Männern erkennen soll, ohne etwas zu sehen?”
“Wenn du ihn wirklich liebst, kannst du es schaffen”, antwortete die böse Schwiegermutter. Mit diesen Worten ließ sie die junge Frau allein und rief mit einer Glocke eine Dienerin herbei. Doch bevor sie ging, drehte sie sich noch einmal zu der jungen Frau um.
“Sei vorsichtig, mit wem du sprichst”, sagte sie mit einem grausamen Lächeln. “Der Mann, an den du als Erstes das Wort richtest, wird in Zukunft deine wahre Liebe sein.”
Die junge Frau wandte sich an die Dienerin, die den Raum betrat. Es war eine ältere Frau, die sie freundlich musterte.
“Kannst du mir einen Rat geben?”, flehte sie die Frau an.
“Zieh dich nackt aus”, sagte die alte Frau ruhig.
“Was soll ich machen?”, rief die junge Frau entsetzt.
“Zieh dich aus”, wiederholte die alte Frau. “So wirst du ihn erkennen. Nur so kannst du den Mann erwählen, den dein Körper im Dunkeln erkennt.”
“Aber wie …” Sie hielt inne. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte.
“Das ist der einzige Weg”, erwiderte die kluge alte Frau. “Du hast nur diese eine Chance. Nutze sie!”
Die Weisheit, die sie in den Worten der alten Frau hörte, überzeugte die junge Frau. Sie legte rasch die Kleidung ab. Dann öffnete sie die Tür und trat in den dunklen Raum dahinter. Die Tür schloss sich hinter ihr.
Obwohl in dem Raum eine gespenstische Stille herrschte, konnte sie die Anwesenheit der Männer spüren, die sich hier versammelt hatten. Sie bewegte sich langsam, Schritt für
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