Verzaubert!
schnell vom Spiegel fort und drehte sie zu sich um. Sie blickte ihn an, und er beugte sich über sie, küsste sie sachte und hob sie auf seine Arme. Er trug sie zu einer Couch, die in der Nähe stand, doch sie wandte den Kopf und blickte über seine Schulter hinweg zum Spiegel.
Der Prinz hielt die Königin fest in seinen Armen, als sie sich erneut vereinigten. Er flüsterte ihr sanft Zärtlichkeiten ins Ohr. Doch sie konnte den Blick nicht vom Spiegel lassen, und weil er ihr Selbstsicherheit zu geben schien, ließ der Prinz es zu, dass sie sich weiterhin darin betrachtete, während sie sich liebten.
In dieser Nacht beobachtete sich die Königin, während sie viele außergewöhnliche Dinge tat. Der Prinz war entzückt von ihrer Wissbegierde, und er gab sich viel Mühe, damit dieses lang ersehnte Erlebnis für sie beide so lange dauerte, bis auch die Königin ganz und gar befriedigt in die Kissen sank.
Danach hielt der Prinz die Königin in seinen Armen. Die ganze Nacht bis zum Morgengrauen hielt er sie fest, und behutsam streichelte er jeden Zentimeter ihrer Haut, bis er sicher sein konnte, dass es keine Stelle gab, die er nicht liebkost hatte. Die Königin lächelte im Schlaf und träumte von süß duftenden Rosen.
Am nächsten Morgen wollte sie nicht fortgehen. Aber der Prinz wusste, dass er sie zurück ins Schloss bringen musste, wenn er wissen wollte, ob seine Liebe wirklich ihr Herz erreicht hatte und sie vom Fluch erlöst war.
Die Königin pflückte eine der Rosen, als sie das Häuschen verließen. Sie legte die Blüte in ihre Tasche, damit sie sich immer an das erinnern konnte, was sie an diesem stillen Ort gefunden hatte. Doch als sie sich auf den Rückweg durch die dunklen Wälder machten, breitete sich große Mutlosigkeit in ihr aus, und als sie das Schloss erreichten, fühlte sie sich ganz und gar beklommen. Der Prinz verließ sie nur widerstrebend und küsste sie ein letztes Mal, ehe er versprach, am nächsten Tag zu ihr zurückzukehren.
Nachdem ihr Diener gegangen war, verlor die Königin keine Zeit. Sie suchte ihr Schlafzimmer auf und unterzog ihr Gesicht und ihren Körper einer eingehenden Prüfung. Sie keuchte auf, als sie sah, dass sich nichts verändert hatte, seit sie das letzte Mal in diesen verdammten Spiegel geblickt hatte! Sie war immer noch nicht schön, sie war immer noch dieselbe schreckliche, verfallene, alte Frau wie am Vortag. Hatte der Spiegel sie etwa belogen und Schneewittchen ihr Leben umsonst lassen müssen?
Die Königin fing sich nur mühsam und fragte den Spiegel schnell:
“Spieglein, Spieglein, halt mich nicht hin –
ich sehe selbst, wie hässlich ich bin.
Sag mir nur, bevor ich dich zu Boden werf
,
was meintest du mit Schneewittchens Herz?”
Es dauerte nur wenige Augenblicke, bevor der Spiegel ihr antwortete:
“Ich fürchte, dein Liebhaber hat gelogen
,
Schneewittchen ist sicher aufgehoben!
Die dunklen Wälder werden dich leiten
ihrem Leben mit Gift ein Ende zu bereiten.”
Ich fürchte, dein Liebhaber hat gelogen.
Also hatte der Diener sie betrogen! Die Augen der Königin brannten, und zugleich griff kalte Wut nach ihrem Herzen. Die Erinnerungen an ihre gemeinsame Nacht im Häuschen waren von dem bösen verzauberten Spiegel ausgelöscht worden. Und ohne diese wertvollen Erinnerungen begab sich die Königin in ihr geheimes Labor, in dem sie sonst raffinierte Cremes und Tinkturen für ihre Haut anrührte. Sie verbrachte den Rest des Tages damit, einen giftigen Trank für Schneewittchen zu köcheln. Behutsam trug sie das Gift auf einen wunderschönen silbernen Kamm auf, der Schneewittchen in einen tiefen Schlaf sinken lassen würde, sobald der Kamm ihren Kopf berührte.
Als der Prinz an diesem Abend zum Schloss zurückkehrte, bemerkte er mit Schrecken, dass die Königin sich in seiner Abwesenheit verändert hatte. Ihre wunderschönen Augen blitzten ihn wütend an, als sie ihm vorwarf, was der Spiegel ihr erzählt hatte. Er konnte sie nur beruhigen, indem er ihr versprach, den vergifteten silbernen Kamm zu Schneewittchen zu bringen. Aber er stellte erneut die Bedingung, dass die Königin eine Nacht mit ihm in dem kleinen Häuschen tief im Wald verbrachte.
Der gute Prinz hatte nach wie vor nicht die Absicht, Schneewittchen irgendetwas anzutun. Als er das Mädchen in den Wäldern fand, bat er sie um eine Strähne ihres Haars, die er um den Kamm wickeln konnte. Das würde seine geliebte Königin vorübergehend beruhigen und sie glauben lassen, er habe seinen
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