Verzaubert!
Schönheit geben.
Du musst ein Korsett aus Seide ihr schenken!
Schnür Gift hinein! Das wird das Leben von ihr lenken.”
Die Königin war entzückt. Sogleich begab sie sich in ihr geheimes Labor und machte sich an die Arbeit. Als der Prinz am Abend zurückkehrte, hatte sie das tödliche Korsett schon fertiggestellt. Aber dieses Mal vertraute sie dem Prinzen nicht ihre wahre Absicht an. Stattdessen erzählte sie ihm, dass sie sich für das Verhalten, das sie Schneewittchen gegenüber an den Tag gelegt hatte, schämte, und bat ihn, ihr dieses Geschenk als Entschuldigung zu überbringen.
Der Prinz machte sich eilends auf den Weg, nachdem er der Königin das Versprechen abgenommen hatte, dass sie eine weitere Nacht an seiner Seite in dem kleinen Häuschen verbringen würde. Tief in den Wäldern überreichte er Schneewittchen das Korsett, wie es seine Geliebte von ihm erbeten hatte, denn er glaubte nicht, dass die Königin irgendetwas Schlimmes im Sinn haben könnte. Schneewittchen freute sich sehr über dieses schöne Geschenk, und der Prinz machte sich sogleich auf den Heimweg.
Schneewittchen konnte der Schönheit dieses Geschenks kaum widerstehen. Sie riss in ihrer Begierde beinahe die alten Kleider entzwei, als sie den neuen Flitterkram anlegen wollte. Doch sobald das Korsett ihre Haut berührte, begannen sich die Korsettstangen zusammenzuziehen, bis Schneewittchen vor Schmerz aufkeuchte. Das Korsett war viel zu eng, und noch immer zog es sich wie von Zauberhand enger um ihren Körper. Bald war es so eng, dass Schneewittchen keinen einzigen Atemzug mehr tun konnte, und sie fiel in Ohnmacht. Später an diesem Tag wurde sie gefunden und in einen gläsernen Sarg gelegt. Doch an dieser Stelle verlassen wir Schneewittchen, ihre Geschichte soll ein andermal zu Ende erzählt werden.
Schließlich kehrte der Prinz zur Königin zurück und musste bestürzt feststellen, dass sie völlig verändert aussah. Ihre Haut schien zu straff über die Knochen gespannt zu sein. Ihre Augen waren starr, ihre Brüste hart und ihre Figur so hager, dass der Prinz glaubte, ein Windhauch könnte sie umstoßen.
Aber er liebte sie noch immer. Er nahm sie behutsam auf die Arme und stellte verwundert fest, dass sie leicht wie eine Feder war. So ritten sie auf seinem Pferd zu dem kleinen Häuschen im Wald. Aber auch dort hatte sich alles verändert: Diesmal rankten sich keine Rosen am Häuschen hinauf, und es wirkte freudlos und düster. Als sie die Behausung betraten, fühlte sich die Königin elend. Sie eilte dem Prinzen voraus zu seinem Schlafzimmer, weil sie hoffte, ihr ungutes Gefühl dort endlich abstreifen zu können. Die Lust, die sie dort in den letzten Tagen empfunden hatte, würde ihre schlechten Gedanken und Gefühle sicher vertreiben.
Als sie jedoch in den Spiegel blickte, keuchte sie auf. So sah sie also aus? Das war unmenschlich! Sie fiel auf das Bett und weinte.
Schließlich kehrte sie in ihr Schloss zurück und ließ den Prinzen allein. Drei lange Monate war er unglücklich. Drei lange Monate war die Königin weiterhin eine Königin, deren Zeit noch nicht abgelaufen war. Und drei lange Monate lag Schneewittchen schon in ihrem gläsernen Sarg.
Eines Tages fielen der Königin, als sie in ihrem Schlafzimmer war, die beiden Rosen in die Hände, die sie einst vom Häuschen des Prinzen mitgenommen hatte. Zu ihrer Überraschung waren sie noch genauso frisch wie an jenem weit entfernten Tag, als sie sie gepflückt hatte. Sie sog ihren berauschenden Duft tief ein und erinnerte sich endlich wieder an die glücklichen Zeiten, die sie mit dem Prinzen verbracht hatte. Plötzlich wurde ihr bewusst, wie viel sie aufgegeben hatte und wie unglücklich sie seitdem gewesen war. Ich muss das rückgängig machen, dachte sie bei sich.
Von diesem Gedanken beseelt und mit erstaunlicher Entschlusskraft gesegnet, griff sie nach dem Wasserkrug am Fußende ihres Bettes und schleuderte ihn mit aller Kraft auf den verzauberten Spiegel. Der Spiegel zersprang in tausend Scherben.
Als Nächstes rief sie zwei Diener herbei. Den ersten schickte sie tief in die Wälder, wo er Schneewittchen finden würde. Sie erklärte ihm, wie er den bösen Zauber lösen konnte, der Schneewittchen schon so lange Zeit in einem tiefen Schlaf gefangen hielt. Den zweiten schickte sie zu ihrem geliebten Prinzen und bat ihn, zu ihr zurückzukehren. Dann setzte sie sich in ihrem Schlafzimmer aufs Bett und wartete.
Der Tag verging schnell, denn während sie dasaß und die Stunden
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