Verzaubert!
blauen Augen an. Liebe war die einzige Macht, die dem Fluch des Zauberers widerstand, und so hatte er nicht bemerkt, wie seine Angebetete sich verändert hatte. Im Gegenteil: Für ihn wurde sie sogar mit jedem Tag schöner.
Und weil er ihr keinen Wunsch abschlagen konnte, erklärte er sich schließlich bereit, ihren Befehl auszuführen, zumal dies endlich die Gelegenheit war, auf die er so lange gewartet hatte. Und so knüpfte er eine Bedingung an seinen Gehorsam: Die Königin sollte diesen Abend mit ihm verbringen, fernab vom Schloss und von allen Bediensteten.
In ihrer Verzweiflung erklärte sich die Königin einverstanden. Der Prinz suchte Schneewittchen und fand sie schließlich in der Küche. Doch weil er so ein freundlicher und guter Mann war, konnte er ihr nichts antun. Er brachte das Mädchen stattdessen tief in den Wald, damit sie in Sicherheit war, und schlachtete auf dem Rückweg ein Lamm. Vorsichtig schnitt er das Herz heraus und brachte es ins Schloss.
Die Königin verlor keine Zeit und ließ das Lammherz für sich zubereiten. Es wurde im besten Öl gebraten, und sie achtete darauf, dass dieses Öl ungesättigte Fettsäuren enthielt. Sie ließ es sich auf einem goldenen Teller servieren. Vorsichtig nahm sie einen winzigen Bissen.
Es schmeckte erstaunlich gut. Es kostete sie dennoch große Überwindung, es Stück für Stück zu verspeisen. Aber der grausame Fluch trieb sie dazu an, jeden Bissen herunterzuwürgen, bis auch das letzte Stückchen in ihrem Mund verschwunden war.
Danach wollte die Königin sofort in ihr Schlafzimmer eilen und sich vor den Spiegel stellen, um das Ergebnis dieser Mahlzeit zu betrachten, aber der Prinz hinderte sie daran und erinnerte sie, dass sie ihm versprochen hatte, mit ihm den Palast zu verlassen. Dabei legte er solch eine Entschlossenheit an den Tag, dass die Königin zustimmte. Sie machten sich auf den Weg und fuhren in einer Kutsche tief hinein in die Wälder. Weiter und immer weiter entfernten sie sich vom Schloss und erreichten schließlich ein kleines Steinhaus, das von wilden, betörend duftenden Rosen überwuchert wurde. Die Zweige rankten sich an den Steinmauern hoch und bedeckten beinahe auch das Dach des kleinen Hauses.
Die beiden atmeten den süßen, schweren Duft der Rosenblüten ein. War es die verzauberte Stimmung, die sie wie in einem Kokon einhüllte? Oder war es die Tatsache, dass es die wahre Liebe des Prinzen war, die sie hierher gebracht hatte? Wie auch immer: Dieses kleine Häuschen am Rande des Waldes war nicht von dem Fluch des Zauberers berührt.
Und so kam es, dass sich die Königin im gleichen Augenblick, in dem sie durch die niedrige Tür trat, überwältigend schön und begehrenswert fühlte, und sie war so glücklich wie nie zuvor in ihrem Leben. Das musste die Wirkung von Schneewittchens Herz sein, da war sie sich sicher, doch der wirkliche Grund war, dass sie hier nicht unter dem bösen Zauber stand. Sie wusste es nicht, aber so wie jetzt hatte sie sich immer gefühlt, bevor das Königreich verflucht worden war.
Mit einem strahlenden Lächeln wandte sie sich zu dem Prinzen um. Er lächelte zurück und dachte bei sich, dass sie nie schöner ausgesehen hatte als in diesem Moment. Er nahm ihre Hand und zog sie die schmale Treppe hinauf in ein behagliches Wohnzimmer.
Behutsam schob der Prinz die Königin vor den Spiegel, der in der Mitte des Raums stand. Dieser Spiegel war nicht verzaubert, und so konnte sich die Königin zum ersten Mal in ihrem Leben so sehen, wie sie wirklich war. Sie war nicht länger den verzerrten Ansprüchen ausgesetzt, die außerhalb der vier Wände dieses Häuschens für Frauen galten. Verblüfft starrte sie sich von oben bis unten an.
Der Prinz stand hinter ihr und beobachtete sie. Sein Plan hatte funktioniert: Die Königin sah sich nun endlich mit seinen Augen. Durch den Spiegel blickte sie in seine Augen, und sie bemerkte, was für ein ausnehmend hübscher Mann ihr Diener war. Sie gaben ein außergewöhnliches Paar ab, dachte sie, während sie sich und ihn betrachtete. Sie fragte sich, warum ihr das nie früher aufgefallen war. Sein dichtes dunkles Haar war so apart gewellt, seine Haut weich und gebräunt, und seine Augen strahlten in einem intensiven Blau.
Der Prinz erwiderte den prüfenden Blick, mit dem die Königin ihn maß, ohne Scheu. Er hatte, als er diesen Abend geplant hatte, keine besonderen Erwartungen gehegt. Er hatte sich vorgestellt, wie er der Königin seine Gefühle offenbarte und sie sich
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