Verzaubert!
während ihr ähnliche Gedanken durch den Kopf gingen! Und beide merkten, dass sie trotz allem besser zu ihren jeweiligen Gatten passten.
Möglicherweise erwartet die geneigte Leserin jetzt von mir, über den weisen Spruch von den Kirschen in Nachbars Garten zu sinnieren, seinen Wahrheitsgehalt anzuzweifeln und zu betonen, das jeder mit dem zufrieden sein sollte, was er hat. Aber ich bin mir nicht sicher, dass das die richtige Schlussfolgerung aus diesem Märchen wäre, denn Frau Fuchs und Frau Wolf tauschen bis heute gelegentlich die Schlafzimmer miteinander. Und während es durchaus richtig ist, dass die Kirschen in Nachbars Garten sich für keine von beiden als die besseren erwiesen, so haben sie sich doch als durchaus schmackhaft herausgestellt.
Und davon gibt es doch eine ganze Menge Sorten – oder etwa nicht?
Schneewittchen
E s waren einmal vor langer Zeit ein König und eine Königin, die besaßen alles, was sie sich nur wünschen konnten – außer einem Kind. An kalten Winterabenden saßen sie zufrieden an ihrem gemütlichen Herdfeuer, die Königin beschäftigt mit ihrem Nähzeug, während der König ihr dabei zusah und sie beide die Geschehnisse des Tages erörterten. Aber dann und wann unterbrach die Königin ihre Tätigkeit, um aus dem Fenster in den leise fallenden Schnee zu schauen, bis sie sich in dem Anblick verlor und sowohl vergaß, was sie gerade gesagt hatte, als auch ihre Handarbeit. Ihr Gatte wusste sehr genau, was ihre Aufmerksamkeit ablenkte, denn in diesen Momenten stellte sie sich ihr gemeinsames Kind vor.
An einem dieser Abende stach sich die Königin versehentlich mit ihrer Nähnadel in den Finger. Ein leuchtend roter Tropfen Blut trat hervor, und während die Königin noch daraufschaute, seufzte sie tief auf und murmelte: “Ach, wenn ich doch nur eine Tochter hätte, mit Lippen so rot wie dieses Blut, mit einer Haut so weiß wie der Schnee da draußen, und mit Haaren so schwarz wie die Kohlen, die da im Feuer glühen!”
Und bevor ein Jahr ins Land gegangen war, erfüllte sich der Wunsch der Königin, und das glückliche Paar wurde mit einer Tochter gesegnet, deren Lippen so rot wie Blut, deren Haut so weiß wie Schnee und deren Haar pechschwarz war wie Kohle. Sie nannten sie Schneewittchen.
Aber schon kurz nach der Geburt ihrer Tochter starb die Königin, und ein paar Jahre darauf heiratete ihr Mann erneut. Seine neue Frau gab eine wunderschöne Königin ab, und für eine Weile waren die drei miteinander glücklich. Aber noch bevor Schneewittchen zehn Jahre alt wurde, verstarb auch ihr Vater und ließ sie allein mit ihrer Stiefmutter zurück. Anfangs war die Frau freundlich zu dem Kind, aber mit jedem Jahr, das Schneewittchen schöner wurde, verabscheute ihre Stiefmutter, die älter wurde und den Verlust ihrer eigenen Schönheit befürchtete, die Stieftochter ein Stückchen mehr. Eines Tages hörte die Königin von einem Tag auf den anderen auf, sie mit schönen Gewändern und anderem Zierrat auszustatten, woran sich Schneewittchen gewöhnt hatte, und zwang sie zur harten Arbeit in der Küche. Aber selbst in Lumpen gehüllt, entging Schneewittchens Schönheit niemandem, und in den Augen ihrer Stiefmutter, die Tag und Nacht von der Angst gequält wurde, ihre eigene Schönheit einzubüßen, schien Schneewittchen nur aus dem einen Grund mit jedem Tag schöner zu werden: ihr Höllenqualen zu bereiten.
So kam es, dass die Königin eines Tages Schneewittchens Schönheit nicht länger ertragen konnte und einen Diener mit dem Auftrag losschickte, mit ihr wegzugehen und sie zu Tode kommen zu lassen. Aber der sanftmütige Diener tat Schneewittchen nichts zuleide. Stattdessen brachte er sie tief in den Wald hinein und warnte sie vor den bösen Absichten ihrer Stiefmutter. Schneewittchen erschrak darüber zu Tode, bis der Diener ihr versicherte, nur ein Stückchen weiter werde sie auf ein kleines Häuschen stoßen, das sieben freundlichen kleinen Männern gehörte, die gemeinsam den Wald bewohnten. Bei den Zwergen, so versprach er, wäre sie in Sicherheit.
Nachdem der Diener sie verlassen hatte, war Schneewittchen zum ersten Mal in ihrem Leben allein. Der Wald war voller ungewohnter Geräusche, und sie machte sich sogleich auf die Suche nach dem Häuschen der Zwerge. Immer tiefer und tiefer drang sie in den Wald vor, bis sie endlich auf ein kleines Haus stieß. Das musste das Zuhause der Zwerge sein, denn der Türrahmen war so niedrig, dass Schneewittchen den Kopf beugen musste, um
Weitere Kostenlose Bücher