Verzaubert!
mit Weisheit und Milde über ihr Reich, und wer immer sie kannte, respektierte und bewunderte sie. Sie genoss die bedingungslose Treue ihrer Untertanen, und die Nachbarländer waren allesamt ihre Verbündeten. Der Mann an ihrer Seite, ihr Gatte und Kaiser, half ihr bei der Umsetzung ihrer Vorhaben und ließ zu keiner Zeit den leisesten Zweifel an ihrem Verstand und Urteilsvermögen erkennen.
Es gab nur eine erkennbare Eigenwilligkeit im Wesen der Kaiserin, was bei einer so bemerkenswerten und außergewöhnlichen Frau kaum verwundern wird. Es war nämlich so, dass die Kaiserin Aufmerksamkeit überaus hoch schätzte und am glücklichsten war, wenn sie im Mittelpunkt des Interesses stand und aller Augen auf ihr ruhten.
Über die Jahre verstärkte sich dieses Verlangen immer weiter. Deswegen kleidete sie sich besonders aufreizend und trug Stoffe von den leuchtendsten Farben, die man sich nur vorstellen konnte, und sie ließ sie so schneidern, dass sie so viel entblößte Haut wie nur möglich zeigten. Außerdem neigte die Kaiserin dazu, Türen unverschlossen zu halten, wo sie eher Wert auf ihre Privatsphäre hätte legen sollen.
Ihr Gatte war sich dieses zunehmend auffälligeren Charakterzuges seiner Frau nur allzu bewusst, aber wie alle anderen ihrer Eigenschaften fand er auch diese ganz besonders charmant und anziehend.
So verging die Zeit für alle durchaus glücklich, bis es zu einem sehr besonderen Vorfall kam, als anlässlich des Geburtstages der Kaiserin ein großes Festmahl ausgerichtet wurde.
Schon im Vorfeld brodelte die Gerüchteküche gewaltig. Man tuschelte darüber, dass die Kaiserin anlässlich der Feierlichkeiten einen außergewöhnlichen Schneider verpflichtet habe, dessen Entwürfe bisher weit und breit noch nicht gesehen worden waren. Selbst unter weniger spektakulären Umständen waren die Kleider der Kaiserin Gegenstand besonderen Interesses, und so wurde die allgemeine Neugier bei dieser Gelegenheit, noch dazu angesichts des geheimnisvollen neuen Schneiders, ganz besonders angestachelt. Jeder wollte einen Blick auf das Gewand der Kaiserin erhaschen.
Als schließlich der Abend des Festtages gekommen war, standen die Menschen in langen Schlangen vor dem Schloss, um ihre geliebte Regentin sehen zu können. Die Dienerschaft eilte geschäftig hin und her und beschnatterte aufgeregt, was die Kaiserin wohl tragen würde. Selbst der Kaiser erwartete den großen Auftritt seiner Frau mit einiger Neugier.
Plötzlich ging ein Raunen durch die Menge. Der Kaiser sah auf. Seine Frau, die Kaiserin, war so nackt, wie Gott sie erschaffen hatte!
Allerorten wurde vernehmlich scharf die Luft eingesogen, aber insgesamt sammelten sich die Anwesenden sehr rasch wieder. Als Erste ergriff eine Herzogin aus einer größeren Stadt des Reiches das Wort.
“Eure Hoheit”, sagte sie mit aufrichtigem Respekt, “Ihr müsst mir unbedingt den Namen Eures Schneiders verraten. Etwas Vergleichbares habe ich noch nie in meinem Leben gesehen!”
Und sofort erfüllte ein Stimmengewirr den Raum, das die Einzigartigkeit und die Pracht der kaiserlichen Kleider rühmte. Nur der Kaiser äußerte kein Wort, aber auf seinen Lippen lag ein unmerkliches amüsiertes Lächeln. Er wusste nur zu gut, dass die Kaiserin in den Augen ihres Volkes nicht fehlgehen und sie sich nicht einmal selbst eingestehen konnte, dass sie gar nichts anhatte. Und doch befand er, dass sie zu weit gegangen war, und er fühlte sich verpflichtet, seiner Frau in dieser Angelegenheit eine Lektion zu erteilen. Ihr Bedürfnis nach Aufmerksamkeit durfte schließlich keine Blüten treiben, die ihre Autorität als Herrscherin bedrohten.
Der Kaiser sah sich im Raum um und sah die uneingeschränkte Bewunderung in den Gesichtern der Untertanen, während sie ihrer Kaiserin mit zuvorkommender Eleganz zu Diensten waren. Plötzlich kam ihm eine Idee, und er lächelte breit. Aber er verhielt sich den ganzen Abend über ruhig und zurückhaltend, während er insgeheim seinen Plan entwickelte. Niemandem fiel auf, wie sehr der Kaiser in Gedanken versunken war, denn wie auch sonst beanspruchte die Kaiserin den Löwenanteil der allgemeinen Aufmerksamkeit für sich.
Einige Wochen später lächelte der Kaiser ganz ähnlich, während er sich für das ankleidete, was er so sorgfältig vorbereitet hatte. Alles hatte sich bestens gefügt. Die Kaiserin hatte seine Idee begeistert aufgenommen. Eine Theateraufführung, und das hier im Schloss! Das hatte es seit Jahrhunderten nicht mehr
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