Verzaubert von diesem Tanz
Manchmal gab sie sich Tagträumen hin, stellte sich vor, sie sei Schneewittchen, und der Prinz hätte sie wachgeküsst.
Dabei wusste sie genau, dass nicht der Kuss – oder der fantastische Sex – zu ihrem Erwachen geführt hatten. Es war etwas Elementares, das mit Nicks Person zu tun hatte: seine Energie, sein Charme, der Humor, das betörende Lächeln. Und seine Augen. Sie waren so ungeheuer ausdrucksvoll. Sie sagten mehr als tausend Worte. Sie konnten lachen, sie konnten Schmerz und Mitgefühl ausdrücken, sie zogen Edie magisch an.
Und sie tauten das Eis in ihrer Seele auf.
Die Küsse, der Sex … das kam erst danach. Edie überlegte schon, ob sie womöglich aus Dankbarkeit mit Nick ins Bett gegangen war, aber ihre Gefühle gingen weit darüber hinaus.
Sie empfand eine Art Verbundenheit, die sie sich nicht erklären konnte. Als hätte er ihr ein Stück von sich gegeben … und sie ihm ein Stück von sich.
Sie versuchte herauszufinden, was es war, es zu benennen. Aber es wollte ihr nicht gelingen. Nicht wirklich. Vielleicht, wenn Nick sie gesucht hätte, damals. Aber natürlich hatte er das nicht getan.
Wie gesagt: Es ging um einen One-Night-Stand.
Und was zum Teufel will er jetzt hier?
Seinen Mund umspielte ein verschwörerisches Lächeln und seine Augen – diese wundervollen Augen – blickten sie ebenso intensiv an wie damals.
„Was … was machst du denn hier?“
Das Aschenputtel in ihr flüsterte: „Dein Prinz ist gekommen.“ Die 99,9 Prozent ihres vernunftbegabten Wesens rieten ihr jedoch, sich schleunigst zusammenzureißen. So etwas passierte nicht im wirklichen Leben. Sie wollte auch nicht, dass so etwas in ihrem Leben passierte.
„Ich freue mich auch, dich zu sehen“, konterte Nick betont liebenswürdig. Dann legte er den Kopf schief und sah sie mit einem treuen Hundeblick an. „Ich erinnere mich nicht, dass wir uns im Streit getrennt hätten. Ehrlich gesagt, erinnere ich mich nicht, mich überhaupt von dir getrennt zu haben. Ich bin aufgewacht … und du warst verschwunden.“ In seinen Augen lag unübersehbar ein Vorwurf.
Edie stieg das Blut in die Wangen. Sie verstärkte den Griff um Roys Halsband. „Du hast geschlafen … ich … ich musste dringend zum Flughafen.“ Sie bemühte sich um einen sachlichen Ton, hörte aber selbst, wie rechtfertigend das klang. „Sorry“, entschuldigte sie sich schließlich. „Es war wirklich …“, sie rang verzweifelt nach den richtigen Worten, „eine fantastische Nacht.“
Nicks Lächeln wich nicht von seinen Lippen. So charmant wie damals – nur jetzt hatte es diesen kalifornischen Touch – war lockerer, unverbindlicher. Und er trug statt des Smokings eine verwaschene Jeans, ein grasgrünes Hemd mit hochgerollten Ärmeln. In die Stirn hatte er eine Pilotenbrille geschoben.
„So könnte man es ausdrücken“, stimmte er Edie zu. Sein Blick glitt über ihren Körper, als wollte er seine Erinnerung überprüfen. Edie spürte, wie ihr Herzschlag sich beschleunigte. Plötzlich wurde ihr unerträglich heiß.
Unvermittelt sagte er: „Ich habe mit deiner Mutter gesprochen.“
„Mit meiner Mutter!“ Er zieht mich gerade mit den Augen aus und fängt dann von meiner Mutter an? Was hat Mona denn jetzt schon wieder angezettelt?
„Wir haben über das alte Farmhaus gesprochen.“
Irgendwie schien die Verbindung zwischen Edies Gehirn und ihren Ohren nicht zu funktionieren. „Was?“
„Wir hatten damals in Mont Chamion darüber geredet“, fuhr Nick fort. „Sie sagte, es müsse dringend renoviert werden, und ich habe versprochen, es mir einmal anzusehen und ein Gutachten zu erstellen.“
„Gutachten?“, wiederholte sie. Er ist hier, weil er mit Mona geredet hat! Wegen der Farm! Seltsamerweise fühlte Edie sich plötzlich total enttäuscht. Was soll ich denn jetzt tun? fragte sie sich panisch.
So sagte sie das Nächstliegende: „Mona ist nicht hier. Sie ist in Thailand.“
„Ich weiß. Ich habe gestern mit ihr telefoniert.“
„Was?“ Edie hatte gestern ebenfalls mit ihrer Mutter telefoniert. Dabei war kein Wort über dieses Gespräch gefallen. Der Name Nick Savas war nicht über Monas Lippen gekommen. Ebenso wenig etwaige Pläne wegen der alten Farm.
„Mona meinte, ich solle einfach vorbeikommen, sobald ich Zeit habe.“
Allmählich drang die Bedeutung der Worte in Edies Bewusstsein.
„Vorbeikommen?“ Oh mein Gott, er denkt bestimmt, ich bin völlig begriffsstutzig, dass ich alles wiederhole, was er sagt!
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