Verzaubert

die Zaubertricks mit dem Verschwinden geben Phil eine reale Handlung, auf die er sich fokussieren kann?«, fragte ich.
    »Nein«, widersprach Lysander. »Der Trick dient als Fokus für den Normalsterblichen, den wiederum der Zauberer als Fokus benutzt.«
    »Ah.« Max nickte. »Ja, natürlich. Der Magier benötigt einen geistigen Bezugspunkt, damit er auf der Bühne jegliche Zweifel ablegen kann.«
    »Genau!«, stimmte Goudini zu. »Während des Enthauptungs-Tricks denke ich nur an die Enthauptung, ebenso wie die Zuschauer und das Mädchen – das ganz besonders. Und während der Nummer mit dem Verschwinden denke ich nur daran, Alice verschwinden zu lassen.«
    »Auch die Zauberformeln, die bei einer Aufführung gemurmelt werden, sind darauf ausgerichtet«, erklärte Max.
    Ich nickte. »Alles, was auf der Bühne vor sich geht, dreht sich in diesen Minuten um die Illusion des Verschwindens.«
    »In gewisser Weise«, fuhr Goudini fort, »lasse ich mich selbst glauben, dass ich jemanden fortzaubern kann.«
    »Vermutlich benötigt Phil für das Gelingen seines Zaubers genau dieses hohe Konzentrations- und Energieniveau, damit der Magier als Vehikel funktioniert«, sagte Lysander. »Der Fokus des Sympathiezaubers muss also mit jeder Faser davon überzeugt sein, tatsächlich jemanden verschwinden zu lassen.«
    »Es ist wirklich genial«, bemerkte Max mit kollegialer Bewunderung.
    »Aber was passiert mit den Opfern?«, fragte ich nachdenklich.
    »Das hängt von der Art des Verschwindens ab«, antwortete Max. »Mittlerweile halte ich eine Translokation für wahrscheinlicher als eine Dissolution.«
    »Weshalb?«
    »Die meisten Formen der Dissolution führen zum sofortigen Tod – oder etwas, das dem sehr nahe kommt. Aber weshalb sollte Hieronymus das wollen? Ich vermute, dass er die Magier nicht als Feinde betrachtete, schließlich kannte er sie kaum. Wahrscheinlich sieht er in ihnen nur Werkzeug. Auch den Verschwundenen ist er in den meisten Fällen nie zuvor begegnet.« Max runzelte die Stirn. »Aus irgendeinem Grund hat er also eine Anzahl von Personen transloziert, und das mit Hilfe mehrerer Vehikel.«
    »Aber weshalb?«, fragte Lysander. »Es ist ein äußerst aufwendiges Vorgehen.«
    Max dachte darüber nach. »Vielleicht konnte er die Translokationen nur auf diese Weise durchführen.«
    »Aber natürlich!« Ich schlug mir vor die Stirn (das wurde mir allmählich zur Gewohnheit).
»Zauberformeln!«
    Alle sahen mich verständnislos an.
    »Sein Sprechfehler!«, rief ich. »Wenn er die Zauberformeln selbst ausspricht, ist das Ergebnis unvorhersehbar.«
    »Du meine Güte! Könnte das der Grund sein, weshalb er diese unorthodoxe Methode anwendet?«, fragte Max.
    »Natürlich«, antwortete ich.
    Max und Lysander begannen vor sich hin zu murmeln.
    Nachdem ich mir das einen Moment lang angehört hatte, rief ich: »Was soll das?«
    Max machte eine kurze Pause und erklärte: »Es gibt nicht viele Zauberformeln, mit denen man ein lebendiges Wesen gegen seinen Willen verschwinden lassen kann. Wir gehen alle durch, die wir kennen.«
    »Mir fallen drei ein«, sagte Lysander, nachdem er sein Gemurmel beendet hatte. »Esther hat recht. Hieronymus hätte ziemliche Schwierigkeiten, eine davon anzuwenden. Es sind zu viele Wörter mit S oder L darin.«
    »Sie kennen drei Zauberformeln, mit denen Sie mich gegen meinen Willen verschwinden lassen können?«, fragte ich ängstlich.
    »Nein, nur eine, mit der ich
Sie
verschwinden lassen kann. Die andere funktioniert nicht bei Menschen und die dritte nur bei Litauern.«
    »Was ist das für eine Geschichte mit Ihnen und den Litauern?«
    »Interessante Frage«, antwortete Lysander. »Vor vielen Jahrhunderten –«
    »Ach, vergessen Sie’s, dafür haben wir jetzt keine Zeit.« Ich runzelte die Stirn. »Wie wichtig ist die exakte Aussprache denn nun wirklich?«
    »Ich bin erstaunt, dass eine ›Schauspielerin‹ das fragt«, erwiderte Lysander.
    »Mit Schauspielerei kenne ich mich aus, aber nicht mit Zauberei.«
    »In der Tat kommt es bei vielen Zauberformeln nicht auf eine akribische Genauigkeit an, bei anderen ist sie jedoch entscheidend«, erklärte Max. »Im harmlosesten Fall führt ein Versprecher zu enttäuschenden oder peinlichen Ergebnissen.«
    »Und im schlimmsten Fall?«
    »Zur Katastrophe. So etwas kann furchtbar gefährlich werden.«
    »Wirklich?«
    »O ja«, stimmte Lysander zu. »Aussprachefehler können beispielsweise Tore zu bösen Mächten öffnen. Was als Versuch beginnt, um eine