Verzaubert
Gemeinschaft zu schützen, ruft womöglich eine Heerschar Dämonen herbei, die einem das Mark aus den Knochen saugen.«
»Wie unangenehm«, sagte ich mit Bestimmtheit.
»Transmutation, Translokation oder jemanden frei schweben zu lassen, bedürfen korrekt artikulierter Zauberformeln – die, nebenbei bemerkt, ziemlich kurz sind«, erklärte Max. »Als Hieronymus heute Morgen fortging, hat er folglich genauso schnell transmutieren oder translozieren können, wie andere eine Hintertür benutzen, falls er genügend Energie dazu hatte.« Mir fiel ein, dass Max erzählt hatte, wie kräftezehrend diese Methoden waren. »Natürlich verfügt er also über die Fähigkeit dazu, ein anderes Wesen gegen seinen Willen verschwinden zu lassen, aber …« – Max schüttelte den Kopf – »… diese Zauberformeln sind wesentlich anspruchsvoller.«
Ich holte tief Luft. »Wahrscheinlich hat Hieronymus es ausprobiert und dabei festgestellt, dass der Zauber wegen seines Sprechfehlers nicht funktioniert. Irgendwann kam ihm vermutlich die Idee, es mit Hilfe eines Vehikels zu versuchen.« Als die anderen Zustimmung murmelten, fragte ich: »Aber weshalb waren die
dafür
benötigten Zauberformeln für ihn kein Problem?«
»Die Verwendung von Vehikeln ist sehr abstrakt und esoterisch«, antwortete Max. »Eine korrekte Aussprache ist dabei zweitrangig.«
»Es kommt vor allem auf mentale Fähigkeiten an«, erklärte Lysander. »Und wenn ich mich recht erinnere, bedarf es auch einiger alchemistischer Substanzen.«
»Und wohin hat er die Opfer nun transloziert?«, fragte ich.
»Vermutlich nicht in eine andere Dimension«, erwiderte Max. »Jetzt, da wir wissen, dass Hieronymus dahintersteckt –«
»
Vielleicht
dahintersteckt«, korrigierte Lysander.
»… scheint mir diese Möglichkeit eher unwahrscheinlich. Offenbar benötigt er diese Menschen für etwas. Und immerhin hält er sich auch in unserer Dimension auf.«
»So wie Phil«, beharrte Lysander. »Schwer vorstellbar, wie ihm die Opfer in einer anderen Dimension nützen sollen.«
»Also gut«, sagte ich. »Wie können wir es weiter eingrenzen?«
Lysander runzelte nachdenklich die Stirn. »Er benötigt … eine Art privaten Ort, an dem er seine Rituale durchführt und an dem sich die Opfer materialisieren – wo er nicht gehört und gesehen wird, das würde zu viel Aufmerksamkeit erregen.«
»Deshalb ist er also nie hier, wenn jemand verschwindet.« Und dann stellte ich die wichtigste Frage von allen: »Ist es möglich, dass die Opfer noch am Leben sind?«
»Das hängt davon ab, wofür er sie braucht«, antwortete Lysander.
»Ja, aus welchem Grund macht er das alles?«, überlegte Max laut.
»Obwohl wir jetzt wissen, wer dafür verantwortlich ist, habt ihr nicht die geringste Idee?«, fragte ich.
»Leider bin ich in diesem Punkt noch immer genauso ratlos wie zuvor«, gestand Max.
»Es gibt einfach zu viele Möglichkeiten«, sagte Lysander. »Wir müssen mehr über ihn in Erfahrung bringen. Wir müssen herausfinden, was er will.«
»Dann können wir vielleicht ermitteln, wie er vorgeht«, sagte Max zustimmend. Niedergeschlagen fügte er hinzu: »Als Mentor war ich wohl zu nachlässig.«
»Allerdings«, bestätigte Lysander. »Er hatte offenbar zu viel freie Zeit zur Verfügung!«
»Er war nie sonderlich schnell oder geschickt darin, die ihm zugewiesenen Aufgaben zu erledigen«, erwiderte Max. »Also habe ich meine Ansprüche – und Erwartungen – in den letzten Monaten heruntergeschraubt.«
»Du siehst, wozu das geführt hat.«
»Jetzt schalten Sie mal einen Gang zurück, Lysander«, sagte ich. »Es war nicht Max’ Fehler, dass ihm das Collegium einen Lakaien des Teufels als Assistenten zugeteilt hat. Obwohl es eine Erleichterung ist, dass Sie sich endlich eingestehen, was passiert ist.«
»Das habe ich nicht gesagt«, widersprach Lysander rasch.
»Vielleicht hätte ich mich fragen müssen, weshalb er in letzter Zeit so oft und lange fort war«, gab Max zu. »Aber junge Leute sind nun einmal rastlose Geister …«
»Wir sind was?«
»Und ich habe natürlich angenommen, dass die Stadt für einen gesunden jungen Mann ein aufregenderer und stimulierender Ort ist als mein Labor oder diese Buchhandlung.«
»Ich finde es hier sehr angenehm«, meldete sich Goudini zu Wort.
»Offen gesagt habe ich mir nur wenig Gedanken darüber gemacht, dass er so oft weg war, weil ich seine Gesellschaft als nicht sonderlich angenehm empfand«, fuhr Max
Weitere Kostenlose Bücher