Verzauberte Herzen
anderen, bis sie schließlich
mit einem Spitzenüberrock, einer lavendelfarbenen Seidentasche und sechs Paar
Schuhen aus leuchtend buntem marokkanischen Leder in den Armen erschöpft zusammensank.
Sie ließ
ihre Augen durch den Raum wandern und schwankte zwischen Hochstimmung und
Verzweiflung. Was für einen seltsamen Zauber hatte der Drache da entfacht? Sie
stand kaum länger als einen Tag unter seinem Bann, und schon hatte er sie in
ein selbstgefälliges, frivoles Wesen verwandelt, das Bücher verschmähte,
sobald es Tüll und bunte Bänder sah.
Unvermittelt
schoss ihr sein rauchiger Bariton durch den Kopf. Würde es Ihnen denn nicht
gefallen, mein verhätscheltes Schoßhündchen zu sein?
Möglicherweise
wollte er genau das aus ihr machen. Sie tat gut daran, nicht zu vergessen, dass
das Turmzimmer, wie luxuriös es auch immer sein mochte, nach wie vor ihre
Gefängniszelle war und sie des Drachen Gefangene. Selbst wenn er sie mit
extravaganten Geschenken auch überschüttete, keines würde dem einen
vergleichbar sein, das er ihr verweigerte – ihrer Freiheit.
Als es
Nacht war, kam er
zu ihr.
Gwendolyn
erwachte aus tiefem Schlaf und hatte das unheimliche Gefühl, dass jemand bei
ihr war. Keine Bewegung und kein Atemzug verrieten ihn, doch seine Präsenz war
so greifbar, wie das immer währende Rauschen der Meeres gegen die Felsen am
Fuße des Turms.
Die Nacht
war nicht so düster wie die Nacht ihres ersten Treffens, und Gwendolyn konnte
im gespenstischen Mondlicht, das durch die Gitterstäbe fiel, das schwache
Leuchten seiner Augen sehen. Er hatte sich auf dem Stuhl am Esstisch
niedergelassen und die langen Beine ausgestreckt.
Gwendolyn
setzte sich auf und war froh, sich das sittsamste Nachthemd und die brave
Nachthaube aus der Truhe geholt zu haben. »Guten Abend, Mylord Drache. Ich
dachte, Sie hätten etwas Wichtigeres zu tun, als mich im Schlaf zu beobachten.
Im Sturzflug vom Himmel herabstechen und unschuldige Kinder entführen,
beispielsweise.«
»Ich habe
mir nie viel aus Kindern gemacht. Sie machen mehr Mühe, als sie es wert sind.«
»Ich
wünschte mir, Sie würden das Gleiche von mir sagen.«
»Ich bin
mir noch nicht sicher, welche Mühen Sie mir wert sind. Aber ich vermute, es
sind geringere, als Sie glauben.«
Gwendolyn
runzelte die Stirn. Sie wurde die befremdliche Vorstellung nicht los, dass er
in der Dunkelheit besonders scharf sehen konnte und seine Augen den Stoff
tiefer und tiefer durchdrangen, bis sie nichts anderes mehr am Leib trug als
ihren Stolz.
»Warum sind
Sie dann hergekommen?«, fragte sie mit jener kühlen Gelassenheit, die ihre
einzige Waffe war. »Wollten Sie sich an meiner Dankbarkeit für all diese außergewöhnlichen
Geschenke, die Sie mir gemacht haben, weiden?«
»Bereiten
sie Ihnen Freude?«
»Ist Ihnen
das wichtig?«
Sie bemerkte
einen nachdenklichen Unterton in seiner Stimme. »Seltsamerweise ist es das.«
»Die
Kleider sind wunderschön«, gab sie zu und spielte mit den Seidenbändern am
Halsausschnitt ihres Nachtgewands. »Aber ich muss mich schon fragen, wie Sie
zu einem solchen Schatz an feiner Damenkleidung gekommen sind.«
»Sie haben
einmal einer Frau gehört, die ich kannte.«
»Einer
Frau, die Sie geliebt haben?« Sie hätte nicht zu sagen vermocht, was sie dazu
getrieben hatte, eine so verwegene und unangemessene Frage zu stellen.
»Sehr«,
antwortete er ohne zu zögern.
Gwendolyn
versuchte, ihre plötzliche Neugier hinter einem Lachen zu verbergen. »Es hat
mich überrascht, festzustellen, wie tadellos mir die Kleider passen.
Allerdings bedurfte ich, im Gegensatz zu den meisten Damen Ihrer Umgebung,
nicht erst eines Reifrocks oder einer Tournüre, um sie in Form bringen«, setzte
sie hinzu und dachte dabei an die gepolsterten Gestelle und die weiten Reifen,
die es den modischen Damen so beschwerlich machten, Kutschen zu besteigen oder
schmale Eingangstüren zu durchschreiten.
Er schien
nicht im Geringsten belustigt. »Ist es Ihnen je in den Sinn gekommen, dass die
meisten Damen meiner Umgebung diese unbequemen Hilfsmittel tragen, um so
auszusehen, wie Sie es tun? Weicher, rundlicher ... einladender für eines
Mannes Hände?«
Gwendolyn
hätte seine Frage, auch wenn sie gewollt hätte, nicht beantworten können. Sie
bekam kaum noch Luft. Sie war nur dankbar, dass sie nicht mehr nur das Laken
trug, denn es wäre ihr sicherlich entglitten.
Ihr
Unbehagen schien ihn nicht zu kümmern. »Um die Wahrheit zu sagen, ich hätte
wahrscheinlich gar nicht
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