Verzauberte Herzen
sich mit tränenverschmiertem Gesicht von ihren Schwestern los. »Sie
haben meine arme Schwester an den schrecklichen alten Drachen verfüttert. Ja, das
haben sie getan. Und sie sollten sich dafür schämen.«
»Sei still,
Kleine«, zischte Nessa und zog Kitty zurück. »Gwennie hat sich für uns alle
aufgeopfert, und sie hat es gerne getan.«
Der
Reverend rieb sich ungläubig die rot geränderten Augen. »Ihr habt das arme
Kind zu eurem Drachen gebracht? Dabei war sie doch die Einzige hier, die etwas
Verstand hatte!«
»Wenn Sie
weiter so daherreden, dann fällt mir noch ein, dass der Drache gern einen
saftigen Presbyterianer hätte«, fauchte Ailbert ihn an.
»Er ist ein
bisschen zu dürr«, sagte Ross und marschierte auf die Stufen zu, »aber wir
brauchen ihn bloß Granny Hay mitzugeben, damit sie ihn mit ihrem Haggis
mästet.«
Der
Reverend machte ohne Vorwarnung einen Satz rückwärts und donnerte ihnen die
Tür vor der Nase zu.
Ailbert
drehte sich um und fing zu fluchen an. »Am liebsten würd ich dem alten
Schafskopf, der uns eingeredet hat, dass wir den Fluch durchbrechen sollen, den
Hals umdrehen.« Und just in diesem Moment entdeckte er den alten Tavis, der
sich auf Zehenspitzen davonmachen wollte, auch schon am Rand der Menge. »Da ist
er ja!«
Ailbert
gestikulierte in Lachlans Richtung, und der packte den alten Mann am Kragen. In
seinem wallenden Nachthemd erinnerte Tavis noch mehr an einen vermoderten
Leichnam als sonst.
»War doch
bloß so eine Idee«, quiekte Tavis, während Lachlan ihn in Richtung der Treppe
zerrte. »Ich hab keinem schaden wollen.«
»Ich sage,
wir sollten ihn steinigen!«, schrie Ross.
Ailbert
verneinte. »Das nützt uns jetzt auch nichts mehr. Der Schaden ist längst
angerichtet.«
Lachlan
ließ den erleichterten Tavis wieder los, und Ross schüttelte empört den Kopf.
»Aber was
machen wir denn dann?«, fragte Marsali und drückte ihre Kleine an die Brust.
Ailbert
betrachtete das Pergament in seiner Hand, sein langes Gesicht noch grimmiger
als zuvor. »Wir fangen an, Eier zu sammeln und Kühe zu melken. Wir haben einen
Drachen zu füttern.«
Gwendolyns zweiter Tag in Gefangenschaft
begann mit einem dumpfen Schlag und einem leisen Fluch. Sie setzte sich auf,
strich sich die zerzausten Haare aus dem Gesicht und sah gerade noch, wie
jemand die Tür hinter sich zuzog. Sie war drauf und dran, ihm noch irgendetwas
hinterherzuschleudern, aber das, was sie jetzt im trüben Morgenlicht
entdeckte, das durch das vergitterte Fenster fiel, ließ ihre Wut in Verblüffung
umschlagen.
Sie war
schon dabei, die Decke zurückzuschlagen, als ihr gerade noch einfiel, dass sie
nur ihr Evakostüm trug. Also knotete sie unbeholfen ihr zerknittertes,
schokoladenverschmiertes Seidenlaken um sich herum fest, kletterte aus dem
Bett und traute ihren Augen nicht.
Während sie
geschlafen hatte, war irgendwer in ihre Zelle geschlichen und hatte das
Turmzimmer in ein Gemach verwandelt, das einer Prinzessin zur Ehre gereicht
hätte. Es schien, als beschäftigte der Drache eine Schar fleißiger Kobolde,
die ihm aufs Wort gehorchten. Erstaunlicherweise hatte das Tapsen der kleinen
Füßchen sie nicht aufgeweckt.
Gwendolyn
wanderte durch den Raum und berührte andächtig das eine oder andere Stück. An
der Fensterseite stand ein mit weißer Seide gedeckter Tisch. Ein bequemer Stuhl
lud ein, sich hinzusetzen und ein Festmahl zu genießen, das ihr Frühstück von
gestern wie eine Armenspeisung erscheinen ließ. Die Platte voller Bratäpfel,
pochierter Eier, röschem Buttergebäck und Haferkuchen sah ebenso verlockend
aus wie sie duftete. Gwendolyn probierte das Gebäck, doch zum ersten Mal, seit
sie denken konnte, schlug sein kulinarischer Genuss sie nicht ganz in Bann.
Der
Mäusedreck und die Spinnweben waren verschwunden, und im Kamin lagen sauber
aufgeschichtete Holzscheite. Auf der Einfassung stand eine Zunderbüchse aus
Zinn. In den Kandelabern steckten frische Wachskerzen.
Auf einem
hohen, kleinen Tisch entdeckte sie eine Porzellanschale, einen Stapel sauberer
Tücher und einen Krug mit heißem Wasser. Sie rechnete fast damit, dass das
Wasser mit Sandelholz und Gewürzen parfümiert war, doch es duftete süß nach
Blumen.
Gwendolyn
schüttete ein wenig Wasser in die Schüssel und spritzte sich das Gesicht nass.
Doch es half alles nichts, sie erwachte nicht aus dem Tagtraum, zu dem ihr
Leben geworden war.
Und dieser
Traum wurde noch schöner, als sie in einer Ecke ihres Gemachs einen
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