Verzauberte Herzen
Tuppers leutseliger Kommentar traf die beiden wie eine kalte
Dusche.
»Nein«,
sagte der Drache grimmig und zerrte Tupper die lose Krawatte vom Hals. »Du
kommst gerade noch rechtzeitig.«
Nachdem Tupper das Fenstergitter an
Gwendolyns Kammer repariert hatte, trat er aus dem Schatten der Burg in den
Hof, wo er den Drachen genau dort herumlaufen sah, wo sie Gwendolyn am Pfahl
gefunden hatten. Obwohl die Morgensonne ihr Licht über die verfallenen Mauern
schickte, war es im Gesicht seines Freundes stockfinstere Nacht. Der Drache zog
heftig an der Zigarre in seinem Mundwinkel und ließ den Rauch aus seinen fein
geformten Nüstern strömen.
Tupper
zupfte nervös an seiner Schnauzbartspitze. »Ich wollte euer kleines
Stelldichein nicht stören. Ich hoffe, du vergibst mir meinen Mangel an Diskretion.«
Der Drache
nahm die Zigarre aus dem Mund. »Deinen Mangel an Diskretion? Es ist
nicht dein Mangel an Diskretion, der mich bedrückt – es ist meiner. Was muss
sie von mir denken? Jedes Mal wenn ich mit ihr allein bin, falle ich über sie
her wie das Tier, für das sie mich hält. Hab ich schon so lange keine Frau mehr
im Bett gehabt, dass ich auf die erste Unschuld, die das Pech hat, mir über den
Weg zu laufen, Jagd machen muss?« Er schleuderte die Zigarre weg und fing
wieder an, im Kreis zu laufen. »Wen wundert's, dass ich für die zivilisierte
Gesellschaft nicht tauge?«
Tupper lief
mit ihm mit. »Das stimmt nicht ganz. Meine Großtante Taffy ist von dir
begeistert. Sie sagt, du erinnerst sie an den prächtigen, hitzigen Hengst ihres
Vaters.« Tupper schüttelte den Kopf und seufzte traurig. »Leider haben sie dem
armen Gaul eine Kugel in die Schläfe gejagt, nachdem er einem Stallburschen
drei Finger abgebissen hat.«
Der Drache
hielt inne und strafte Tupper mit einem vernichtenden Blick. »Danke, das ist
genau das, was ich hören wollte. Da geht's mir gleich viel besser.«
Er nahm das
verbleibende Stück des Burghofs mit drei langen Schritten, womit er Tupper zum
Laufen zwang. »Du solltest nicht so hart mit dir ins Gericht gehen«, versuchte
der ihn zu trösten.
»Du hast
ihr schließlich nicht das Nachthemd über den Kopf gezerrt und versucht, es mit
ihr auf dem Tisch zu treiben. Du hast ihr lediglich einen unschuldigen Kuss
gegeben. Was soll daran so entsetzlich sein?«
Der Drache
konnte und wollte ihm nicht erklären, dass der Kuss alles andere als unschuldig
gewesen war und dass er um seine Unversehrtheit besorgter war als um ihre. Gwendolyns
schüchterner Kuss hatte sein Blut stärker in Wallung gebracht, als es die
verwegenste Umarmung einer Londoner Dirne je vermocht hätte. Er hatte sie einen
Drachenatem spüren lassen wollen, aber er selbst war es nun, der in Flammen
stand.
Er blieb
vor der Statue stehen, die immer noch über den Burghof herrschte. Aphrodite,
die griechische Göttin der Liebe, schien ganz und gar fehl am Platz in dieser
Festung, die seit beinahe fünfzehn Jahren keine Liebenden mehr beherbergt
hatte. Wäre ihr nicht von einer von Cumberlands Kanonenkugeln der Kopf
abgerissen worden, er hätte bestimmt ihr spöttisches Lachen im Wind vernommen.
»Ich muss
diesen Ort verlassen«, sprach er sanft, während seine Hand über die entblößte
Schulter der Göttin glitt, »bevor ich noch meinen eigenen Kopf verliere.«
»Wir haben
den Dörflern vierzehn Tage gegeben, das Gold hier abzuliefern«, erinnerte
Tupper.
»Das weiß
ich«, sagte der Drache und wandte der kopflosen Schönheit den Rücken zu. »Aber
das bedeutet nicht, dass wir
sie nicht ein wenig antreiben dürften, oder? Zünde ein paar Rauchtöpfe in ihren
Feldern an. Stell Fackeln in die Burgfenster. Spiel den verdammten Dudelsack,
bis ihnen die Ohren bluten. Ich will, dass sie sich alle gegenseitig an die
Kehle gehen. Ich will, dass sie betteln, mir den Bastard bringen zu dürfen, der
all die Jahre über das Gold gehortet hat.«
Tupper
machte einen feschen Kratzfuß. »Du kannst mir vertrauen, ich treib ihnen schon
die Gottesfurcht ein.«
Der Drache
fuhr herum. Sein Gesicht war so unbarmherzig, dass selbst Tupper zurückwich.
»Nicht Gott sollen sie fürchten, sondern mich.«
10
Tupper kroch durch die Hochlandnacht. Das
fleckige Licht des aufgehenden Mondes leitete seine verstohlenen Schritte. Als
er über ein Riff loser Felsbrocken stelzte, wobei er Acht gab, dass sich kein
einziger löste, beschleunigte sich sein Puls vor Vorfreude.
Er hatte
sich nie viel aus Gefahr gemacht, aber wenn es dramatisch wurde, blühte er
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