Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verzauberte Herzen

Verzauberte Herzen

Titel: Verzauberte Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Teresa Medeiros
Vom Netzwerk:
fuhr
mit einem Finger über ihre Lippen. Eine alte Angst stieg in ihr auf. Vielleicht
war sie ebenso anfällig für die Versuchungen des Fleisches wie Nessa. Sie
glaubte, gegen solche Verlockungen immun zu sein, und doch bedurfte es nur
eines Drachenkusses, ihren Willen zum Schmelzen zu bringen und ihre Sehnsucht
zu schüren.
    Ihre Augen
wanderten vom Geschenk des Drachen zu dem Essen, das sie stehen gelassen hatte.
Sie fühlte den vertrauten Wunsch, den Rest des Abendessens mit einem Mal
herunterzuschlucken.
    Stattdessen
stieg Gwendolyn langsam aus dem Bett und näherte sich der verhüllten Gabe des
Drachen. Bevor sie es sich wieder anders überlegen konnte, hatte sie das
Leintuch schon weggerissen.
    Ein
mannshoher Spiegel in einem geschnitzten Mahagonirahmen mit getriebenen
Silberintarsien stand vor ihr. Gwendolyn wollte innehalten und seine Schönheit
bewundern, doch die Frau im Spiegel nahm sie gefangen. Ihr fülliges Haar
schimmerte im Kerzenlicht. Ein Schlafrock aus orientalischer Seide fiel über
ihre geschmeidigen Rundungen. Ihre Wangen glühten, ihre Augen leuchteten, ihre
feuchten Lippen waren geöffnet. Sie sah nicht aus wie die Geisel eines
skrupellosen Verrückten. Sie sah aus wie eine Frau, die ihren Geliebten
erwartet.
    Mit
zitternden Händen warf Gwendolyn das Leintuch wieder über den Spiegel. Musste
der Spiegel nicht genauso verzaubert sein wie der Mann, der ihn ihr geschenkt hatte?
Sie sehnte sich nicht nur danach, von diesem Fremden berührt zu werden, sie
lief Gefahr, sich selbst fremd zu werden.
    Tief in
der Nacht saß
Gwendolyn aufrecht in ihrem Bett. Irgendetwas hatte sie geweckt. Aber
nirgendwo fand sie den Schatten des Drachen. Das Vollmondlicht flutete durch
das Gitterfenster in die einsame Kammer. Es gelang ihr nicht, die Rauchspur
einer Zigarre aufzuspüren.
    Sie spitzte
die Ohren, hörte aber nichts als das gedämpfte Rauschen der See, deren
Sirenengesang sie ans Fenster zog.
    Mochte der
Drache auch mit dem neuen Gitter jede Hoffnung freizukommen zunichte gemacht
haben, er konnte sie nicht daran hindern, vom Tisch aus in die mondspiegelnde
See zu spähen und die salzige Luft mit ihren durstigen Lungen tief einzuatmen.
    Gwendolyn
rieb sich die Augen. Ein Segelschiff zerteilte die Wellen. Es hielt Kurs auf
die Burg. Die geblähten Segel schimmerten wie Alabaster. Es sah so unwirklich
aus wie ein Totenschiff, dessen einzige Fracht die Seelen Verblichener waren.
    Sie
zwinkerte, als brächte sie den Küstenfahrer so wieder zum Verschwinden.
    »Anker
auswerfen, Männer!«
    Dem allzu
irdischen Ausruf folgte ein gewaltiges Platschen. Ein Beiboot wurde zu Wasser
gelassen.
    »Hey!«
Gwendolyn streckte ihre Finger durch das Gitter. »Hilfe! Ich bin hier oben!
Helft mir doch! Ich werde gefangen gehalten!«
    Während sie
verzweifelt versuchte, sich Gehör zu verschaffen und auf den Zehenspitzen auf
und ab hüpfte, ruder te die schattenhafte Besatzung den Klippen unterhalb der
Burg entgegen. Sie ließen schimmerndes Kielwasser hinter sich. Gwendolyn renkte
sich fast den Hals aus, bis das Boot außer Sicht war. Dann fiel sie in sich
zusammen. Sie schalt sich selbst, aber es half alles nichts, Denn es waren seine Männer und sein Schiff.
    Das Schiff
erklärte, wie er die Burg Weyrcraig besitzen und halten konnte, ohne dass in
Ballybliss jemand Wind davon bekam. Es erklärte, wie er all den luxuriösen
Tand in die Burg schmuggeln konnte – das verzierte Bett, die Daunendecke, die
Wachskerzen ... vielleicht sogar den Spiegel, der sie so zeigte, wie er sie
sehen wollte. Und es erklärte, wie er fliehen wollte, sobald er das Dorf um
sein Gold und seinen Stolz gebracht hatte.
    Einst hatte
Gwendolyn von solch einem Schiff geträumt, einem Schiff, das sie aus Ballybliss
forttragen würde in eine Welt, wo verstaubte alte Bibliotheken eine Fülle
ledergebundener Schätze bereithielten. Eine Welt der tapezierten Salons, der
geistreichen Konversationen und der kühnen Ideen. Eine Welt, in der ein Mann an
einer Frau mehr zu schätzen wusste, als ihr herziges Gesicht und ihre zierliche
Taille.
    Und
plötzlich wusste sie, dass diese Welt seine Welt war, die Welt des Drachen.
    Gwendolyn
sprang vom Tisch herunter und trabte wütend durch die Kammer. Vielleicht ließ
er sie noch nicht einmal frei, bevor er ging. Das Dorf glaubte ohnehin, sie
sei tot. Was kümmerte es die, ob ein Drache sie verschlungen hatte oder ob sie
in einem goldenen Käfig vermoderte? Womöglich ließ er sie im Schlafrock einer
ausrangierten

Weitere Kostenlose Bücher