Verzauberte Herzen
seine Seite und legte sanft
die Hand auf seine Schulter.
Er hob
seinen tropfnassen Kopf, ohne sie anzusehen. »Guten Abend, Miss Wilder.«
»Woher
wussten Sie, dass es nicht Tupper ist?«
»Tupper
käme nicht auf die Idee, sich im Dunkeln anzuschleichen. Ich könnte ihm
versehentlich die Kehle durchschneiden.« Gwendolyn schluckte. »Andererseits
ist seine Kehle nicht annähernd so hübsch wie Ihre.«
Der Whisky
hatte die knappen Umlaute und Vokale seiner kantigen Sprache zu einem
entwaffnenden Singsang gemildert. Bevor sie die Hand wegnehmen konnte, ergriff
er sie und hielt sie fest. Sein Daumen glitt über ihren Handteller. »Auch
seine Hände sind nicht so weich. Vielleicht sind Sie nur ein Traum.« Er rieb
seine Wange an ihrem Handrücken. »Bedenken Sie, würde die gereizte Miss Wilder
sich erbarmen, mich mit ihren weichen Händen und ihrer nach Schlaf duftenden
Haut im Traum zu besuchen?«
Seine
köstliche Wärme reizte Gwendolyn nur noch mehr. »Betrunkene Männer träumen
nicht, glaube ich.«
Der Drache
lachte schroff. »Dann sind Sie vielleicht kein Traum, sondern ein Geist. Die
weiße Herrin des Schlosses hat mich vor diesem Schloss gewarnt. Es könne meine
unsterbliche Seele kosten.« Er sah sie an, das Gesicht im Schatten. »Ach, die
pragmatische Miss Wilder glaubt ja nicht an Geister, nicht wahr?«
Entnervt,
dass er ihren Traum so genau widerspiegelte, gab Gwendolyn zu: »Bisher nicht.
Aber jetzt, während ich hier stehe, bin ich mir nicht mehr so sicher.«
Sie kam
sich sonderbar beraubt vor, als er ihre Hand ent fernte, aufstand und den
tieferen Schatten des Kamins aufsuchte. Die klamme Kälte sickerte ihr in die
Knochen.
Er sah zu
den geborstenen Dachsparren auf. »Können Sie sich vorstellen, wie sie sich in
dieser Nacht gefühlt haben müssen? Verraten von den Ihren. Verlassen von denen,
auf die sie zählten. Sie konnten nichts tun, als sich mit ihren spärlichen
Waffen ins Dunkel zu ducken und die erste Kanonenkugel abzuwarten.«
»Sie hätten
sich mit Bonnie Prince Charlie in die Flucht schlagen können«, wandte sie ein.
Sie hatte ohnehin nie begriffen, weshalb das niemand getan hatte.
Er lachte
freudlos. »Das hätte ihnen das Leben gerettet, aber ihren kostbaren Stolz
gekostet.« Mit dem Zeigefinger zog er den Wahlspruch nach, der in den Kaminsims
geschnitzt war.
»›Zu
Recht oder verkehrt ...‹«
»›...
ein MacCullough führt das Schwert.‹« Gwendolyn beendete seinen Satz. Sie
brauchte ihn gar nicht zu lesen. Seine verhassten Worte waren ihr ins Herz
gebrannt.
»Wissen
Sie, ob Kinder dabei waren?«, fragte er beiläufig. Er fuhr mit dem Finger durch
die dichte Staubschicht auf dem Kaminsims.
Nun verbarg
Gwendolyn ihr Gesicht vor dem Mondlicht. »Ein Junge war dabei.«
»Bloß
einer? Ungewöhnlich, nicht? Ich dachte, diese Highland-Lords vermehren sich
wie die Karnickel.«
Gwendolyn
schüttelte den Kopf. »Seine Frau konnte ihm nur ein Kind schenken. Aber er
machte ihr nie einen Vorwurf, sondern behandelte sie, als habe sie ihm das
kostbarste aller Geschenke gemacht – einen Sohn. Einen Erben, der den Clan
anführen würde, wenn er nicht mehr war.« Sie senkte ihre Stimme. »Ich glaube,
das Dorf hat seinen Verlust nie ganz verwunden.«
Der Drache
schnaubte verächtlich. »So weit Sie mich über die guten Leute von Ballybliss
unterrichtet haben, bezweifle ich, dass jemand auch nur eine Träne um ihn
vergossen hat.«
Gwendolyn
drehte sich ruckartig zu ihm um. »O doch, ich!«
Sie wich
vor seinem unerträglichen Schweigen an ein zersplittertes Fenster aus. »Ich
war noch fast ein Kind, als er starb. Aber schon damals war ich halb in ihn
verliebt.« Sie lächelte wehmütig. »Wie töricht zu glauben, ein Draufgänger wie
er verschwende auch nur einen Gedanken an eine linkische, mollige Göre wie
mich.«
»Ihre
einzige Torheit war, sich in jemanden zu verlieben, der selbst noch ein halbes
Kind war.«
»Ach! Sie
haben ihn doch gar nicht gekannt. Er war ein ganz außergewöhnlicher Junge –
stark und freundlich und edelmütig. Schon damals war offenkundig, wie er
geartet war und was für ein Mann aus ihm werden würde.«
Der Drache
klang irgendwie gebändigt. »Zweifellos ein Vorbild an Güte, das die
Unterdrückten aufrichtete, die Tugendhaften beschützte und Maiden aus
Bedrängnis rettete.«
»Mich hat
er einmal gerettet. Aber ich war zu stolz und zu eigensinnig, ihm zu danken.
Stattdessen hab ich ihm abblitzen lassen. Ich wusste nicht, dass ich ihn zum
letzten Mal
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