Verzaubertes Verlangen
hatte nicht lange gedauert, bis sie erkannte, dass er nicht zu ihr zurückgekehrt war, weil er sich nach ihrer Gesellschaft sehnte. O nein, wütete sie im Stillen, er war an diesem Morgen einzig und allein in ihr Haus geschneit, weil er überzeugt davon war, dass sie seine Pläne, den Dieb zu fangen, durchkreuzt hatte.
Diesmal war ihre Beziehung rein geschäftlich, soweit es Gabriel betraf, ein bloßer Teil seiner Strategie. Das durfte sie nie vergessen. Sie würde nicht zulassen, dass er ihr ein zweites Mal das Herz brach.
Amelias Miene wurde nachdenklich. »Ich vermute, dass die Nachbarn gar nicht herausfinden müssen, dass dein Mann in der Dachkammer wohnt. Sie werden ja wohl kaum eine Besichtigungstour durch das Haus machen.«
»Natürlich nicht.« Venetia ging zu ihrer Kamera, die auf ein Stativ montiert war, und überprüfte, wie die Kulisse wirkte.
Dank Beatrices Geschick als Malerin mutete der italienische Garten auf dem Hintergrund beeindruckend real an, bis hin zu der klassischen Hermes-Statue und den erhabenen Ruinen eines römischen Tempels. Ein paar Ergänzungen wie die Vase würden die gewünschte Wirkung vervollkommnen.
Die Miete für das Atelier, das nur einen Steinwurf von der Sutton Lane entfernt war, war höher als die Miete für das Haus, in dem sie wohnten, da es in einer vornehmeren Straße
gelegen war. Venetia und die anderen waren übereingekommen, dass es sich trotz der hohen Kosten bezahlt machte. Der Standort war entscheidend für den Eindruck von Exklusivität, den sie der Welt vermitteln wollten.
Das Atelier befand sich in einem zweistöckigen, einstmals eleganten Stadthaus. Der Besitzer des Gebäudes hatte es in Räumlichkeiten für zwei Geschäfte umgewandelt. Die obere Etage, die über einen separaten Zugang verfügte, stand derzeit leer.
Venetia, Beatrice und Amelia hatten beschlossen, die vorderen Zimmer im Erdgeschoss als Empfangssalon zu nutzen. An den Wänden hingen Beispiele von Venetias Fotografien, die Kunden in Augenschein nehmen und erwerben konnten.
Die Dunkelkammer, eine Abstellkammer und die Umkleideräume für die Kunden nahmen den restlichen Raum ein.
Das Studio selbst war ursprünglich ein kleines Gewächshaus gewesen. Die Glaswände und das Glasdach ließen bei gutem Wetter natürliches Licht hereinfluten. Wenn Venetia an nebligen oder bedeckten Tagen Porträtaufnahmen zu machen hatte, glich sie die schlechte Beleuchtung mit Gaslampen und dem Abbrennen von Magnesiumbändern aus.
Seit einiger Zeit überlegte sie, sich einen kleinen gasbetriebenen Dynamo zuzulegen, damit sie mit den neumodischen elektrischen Lampen experimentieren konnte. Bislang war sie jedoch nicht sonderlich beeindruckt von dem fahlen Licht, das die kleinen Birnen abgaben, die dazu auch noch ziemlich teuer waren.
Daher schätzte sie sich ausgesprochen glücklich, das kleine Haus mit dem gläsernen Studio gefunden zu haben. Viele
ihrer Kollegen waren gezwungen, in dunklen, umgebauten Salons, Wohnzimmern und anderen unzulänglich beleuchteten Räumlichkeiten zu arbeiten, die Aufnahmen bei schlechtem Wetter unmöglich machten.
In ihrer Verzweiflung griffen etliche Fotografen zu explosiven pyrotechnischen Pulvern, zusammengemischt aus Magnesium und den verschiedensten anderen Zutaten. Im Gegensatz zum kontrollierten Abbrennen eines Bands aus reinem Magnesium waren jene Pulvergemische unberechenbar und hochgefährlich. Die Fachjournale für Fotografen wimmelten von Artikeln über zerstörte Häuser, schwere Verbrennungen und Todesfälle, die allesamt Ergebnis der Verwendung solcher Blitzlichtpulver waren.
Um das natürliche Licht im Gewächshaus nach Bedarf verändern zu können, hatten Venetia, Amelia und Beatrice ein kompliziertes System von Vorhängen ersonnen, die mittels Kordeln und Flaschenzügen heruntergelassen oder heraufgezogen wurden. Mehrere große, mit verschiedenfarbigen Tüchern bespannte Schirme und eine Auswahl von Hintergründen halfen, das Licht zu streuen. Spiegel und einige auf Hochglanz polierte reflektierende Oberflächen erlaubten interessante künstlerische Effekte.
Für jenen Tag waren zwei Kunden angemeldet. Bei beiden handelte es sich um wohlhabende Ladys, die auf Empfehlung von Mrs. Chilcott, einer weiteren zufriedenen Kundin, kamen. Den bestürzenden Ereignissen des Morgens zum Trotz, war Venetia fest entschlossen, ihre Kunden aufs Beste zufrieden zu stellen. Ihr Ruf als herausragende Fotografin wuchs zusehends. Es gab nichts Besseres als die Empfehlung eines
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