Verzaubertes Verlangen
Revolver dabeihatten.«
»Sie hatte vor, mich unbewaffnet gegen die Gesetzlosen antreten zu lassen?« Gabriel klappte den Koffer auf. »Sie wollte wohl auf jeden Fall sicherstellen, dass ich nicht überlebe.«
»Ich fand ja, es wäre eine ausgezeichnete Geschichte, aber Tante Beatrice hat gesagt, dass sie zu blutrünstig für zarte Gemüter wäre. Also hatte Venetia den Einfall, dass Sie von einer Herde wilder Pferde zu Tode getrampelt wurden.«
»Das klingt aber ausgesprochen schmerzhaft. Was hat mich denn vor diesem Schicksal bewahrt?«, wollte Gabriel wissen.
»Amelia sagte, da Sie und Venetia doch angeblich auf Hochzeitsreise waren, sollten Sie auf eine romantischere Weise sterben.«
»Und da hast du dir ausgedacht, dass ich in eine Schlucht gestürzt wäre?«
»Ja. Ich bin sehr froh, dass es Ihnen gefällt.«
»Es ist wirklich brillant.« Gabriel griff in den Koffer und holte das Lederetui mit seinem Rasierzeug heraus. »Wenn ich von Gesetzlosen erschossen oder von Wildpferden zu Tode getrampelt worden wäre, wäre es um einiges schwieriger gewesen, mein plötzliches Auftauchen zu erklären.«
Edward kam eilig vom Kammerfenster herüber, um den Inhalt des Koffers in Augenschein zu nehmen. »Ich schätze, dass uns etwas eingefallen wäre. Uns fällt immer etwas ein.«
Gabriel richtete sich wieder auf und stellte sein Rasierzeug auf den Waschtisch. Dann wandte er sich um und betrachtete Edward. Es konnte für einen Knaben, egal, wie gescheit er auch war, nicht leicht gewesen sein, das Märchen aufrecht zu erhalten, seine ältere Schwester sei eine Witwe.
»Du scheinst ein richtiger Experte darin zu sein, wie man
dieses Spiel spielt und sich als jemand anders ausgibt«, bemerkte Gabriel.
»Das bin ich.«
»Vielleicht kannst du mir ein paar Ratschläge geben, wie man es am besten macht.«
»Aber sicher doch, Sir.« Edward schaute vom Koffer auf. »Manchmal ist es wirklich sehr schwer. Man muss sehr vorsichtig sein, wenn andere Leute dabei sind, besonders Mrs. Trench. Sie darf nichts von unseren Geheimnissen wissen.«
Gabriels Erfahrung nach war es gemeinhin unmöglich, Familiengeheimnisse vor Bediensteten verborgen zu halten. Es war erstaunlich, dass Venetia und den anderen diese Leistung die drei Monate über, die sie nun schon in London lebten, gelungen war. Er bezweifelte, dass sie die Scharade ewig hätten aufrechterhalten können.
»Ich werde mich vorsehen«, versprach er.
Er griff abermals in den Koffer und holte einen Stapel sorgfältig gefalteter Hemden heraus. Er duckte sich, um nicht mit dem Kopf gegen die niedrige, schräge Decke zu stoßen und legte die Hemden in den alten, klapprigen Kleiderschrank.
Edward schaute ihm fasziniert zu. »Vielleicht können wir einmal zusammen in den Park gehen und einen Drachen steigen lassen, wenn Sie nicht zu beschäftigt sind.«
Gabriel sah ihn an. »Wie bitte?«
»Das ist doch etwas, was ein Junge und sein Schwager tun würden, oder nicht?« Edward schaute ihn hoffnungsvoll an.
Gabriel stützte sich mit einer Hand gegen die schräge Decke. »Wann bist du denn das letzte Mal im Park gewesen?«
»Ich gehe manchmal mit Tante Beatrice oder Venetia oder Amelia dorthin, aber ich habe noch nie einen Drachen steigen lassen. Einmal hat einer der anderen Jungs gefragt, ob ich mit ihnen spielen wollte, aber Tante Beatrice hat es mir nicht erlaubt.«
»Warum denn nicht?«
»Weil ich nicht viel mit anderen Leuten reden soll, besonders nicht mit anderen Kindern.« Edward verzog das Gesicht. »Sie haben alle Angst, dass ich aus Versehen jemandem unsere Geheimnisse ausplaudern könnte.«
Jedes Mal, wenn Edward das Wort Geheimnis benutzte, verwendete er den Plural. Wie viele Geheimnisse hütete der Junge?
»Es muss schwierig gewesen sein, die vergangenen Monate über so zu tun, als sei deine Schwester eine Witwe«, sagte Gabriel.
»Master Edward? « Mrs. Trenchs Stimme scholl vom Fuß der Treppe herauf. »Ihre Tante lässt Ihnen sagen, dass Sie Mr. Jones nicht stören sollen. Kommen Sie herunter in die Küche. Ich habe ein Stück Pflaumenkuchen für Sie. «
Edward verdrehte die Augen, doch er trollte sich gehorsam, wenn auch widerstrebend, zur Tür. Als er sie erreichte, blieb er stehen und schaute zurück zu Gabriel.
»Eigentlich war es gar nicht so schwer, so zu tun, als ob Venetia eine Witwe ist«, sagte er. »Denn sie trägt ja jeden Tag Schwarz.«
Gabriel nickte. »Da hast du natürlich Recht. Ihre Kleidung ist eine hilfreiche
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