Verzaubertes Verlangen
waren halt nur schwer abzulegen.
Er selbst entschied sich gegen den angebotenen Sessel und stellte sich stattdessen vor den Kamin, einen Arm ausgestreckt auf dem verzierten Marmorsims. Es ging ihm gegen den Strich, im Kreise von Leuten, die er kaum kannte, zu sitzen. Man konnte sich, falls nötig, entschieden schneller bewegen, wenn man bereits auf den Beinen war.
Venetia sah Pierce an. »Mr. Harrow hat Ihnen gesagt, warum wir mit Ihnen sprechen möchten, Sir?«
Pierce stützte die Ellbogen auf die Armlehnen seines Sessels und legte die Fingerspitzen gegeneinander. »Sie möchten mehr über Rosalind Fleming herausfinden.«
»Ja«, bestätigte Venetia. »Sie scheint völlig grundlos eine
starke Abneigung gegen mich entwickelt zu haben. Ich würde gerne wissen, warum.«
Harrow stand von der Schreibtischkante auf und ging zu dem Tischchen mit der Brandykaraffe. »Genauer gesagt, Mr. Pierce, die beiden würden gern wissen, ob es Anlass gibt, Rosalind Fleming als gefährlich zu betrachten.«
»Ich bin ziemlich sicher, dass die Antwort auf diese Frage ja lautet«, sagte Pierce.
Gabriel spürte, wie sich seine paranormalen Sinne regten. Er sah zu Venetia und konnte deutlich erkennen, wie angespannt und nervös sie war.
»Ich muss gestehen, dass ich Ihnen keine Beweise liefern kann, um meinen Verdacht zu untermauern«, fuhr Pierce fort. Er tippte seine breiten Finger zweimal gegeneinander. Ein grimmiges Lächeln spielte um seine Mundwinkel. »Ich muss ebenfalls gestehen, dass ich sehr gern Beweise finden würde, die meine Vermutungen bestätigen.«
Das Feuer knisterte laut in der kurzen Stille, die dieser Feststellung folgte.
Harrow verteilte wortlos Brandys. Gabriel nahm sein Glas entgegen und sah wieder zu Pierce.
»Wir brauchen etwas mehr Informationen, Pierce«, sagte er.
»Das verstehe ich.« Pierce sah Gabriel über seine gegeneinander gelegten Fingerspitzen hinweg an. »Ich werde Ihnen erzählen, was ich weiß. Als ich Rosalind Fleming zum ersten Mal begegnet bin, war sie noch nicht Acklands Geliebte. Sie benutzte einen anderen Namen und verdiente ihren Lebensunterhalt als Medium.«
Venetia, die gerade an ihrem Glas nippen wollte, stutzte. »Sie war ein Medium?«
»Sie bot eine Vielzahl von Diensten an«, sagte Pierce, »einschließlich Séancen und Vorführungen automatischen Schreibens. Ihre Spezialität waren jedoch private Konsultationen. Für ein angemessenes Honorar versprach sie Rat und Führung, basierend auf Informationen, die sie angeblich aus dem Jenseits erhielt.«
»Welchen Namen hat sie in jener Tätigkeit benutzt?«, fragte Venetia.
»Charlotte Bliss«, antwortete Pierce.
Gabriel musterte ihn. »Wie kommt es, dass Sie so viel über sie wissen?«
»Ein sehr guter Freund von mir hörte von ihren erstaunlichen übersinnlichen Kräften.« Pierce schaute grimmig in das Kaminfeuer. »Mein Freund glaubte nicht an solche Behauptungen, aber er dachte, es wäre amüsant, an einer von Charlotte Bliss’ Vorführungen teilzunehmen. Hinterher war er so beeindruckt von den Fähigkeiten dieser Frau, dass er umgehend eine Reihe von privaten Konsultationen gebucht hat.«
»In welcher Angelegenheit hat Ihr Freund sie konsultiert?« , wollte Venetia wissen.
»Ich fürchte, das ist Privatsache.« Pierce griff nach seinem Glas.
Pierce war ein Mensch, der seine Geheimnisse zu bewahren wusste, ging es Gabriel durch den Sinn. Sehr wahrscheinlich würde alles, was ihn oder seine Bekannten betraf, unter Privatsache fallen. Die bloße Tatsache, dass er sich bereit erklärt hatte, heute Abend mit zwei Fremden zu sprechen, war ein Hinweis darauf, wie stark er in Bezug auf Charlotte Bliss empfand.
»Lassen Sie mich raten«, sagte Gabriel. »Mrs. Bliss hat
sich von Ihrem Freund ein saftiges Honorar bezahlen lassen und ihm dann einen Haufen Unsinn aufgetischt.«
Pierce sah ihn an. Gabriel sah eiskalten Zorn in den stechenden blauen Augen lodern. In diesem Moment wusste er, dass Pierce keine Bedenken hätte, die Frau, die sich Rosalind Fleming nannte, umzubringen.
»Mein Freund war mit den Ratschlägen, die er erhielt, zufrieden«, erklärte Pierce mit außerordentlich ruhiger Stimme, was die Wirkung seines eisigen Blicks nur noch verstärkte. »Er hat auf diesen Rat hin investiert.«
»Was ist passiert?«, fragte Venetia.
»Einen Monat später hat er den ersten Erpresserbrief erhalten.«
Gabriel sah, dass das Glas in Venetias Hand zitterte. Harrow bemerkte es ebenfalls. Er nahm es ihr eilig aus den Fingern
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