Verzaubertes Verlangen
schnaubte verächtlich. »Der Mann ist ein seniler alter Narr.«
»Aber ein sehr reicher seniler alter Narr«, fügte Harrow an.
»Mein Freund und ich steckten in der Zwickmühle«, fuhr Pierce fort. »Es war selbstverständlich sehr gut möglich, dass ich mit meinem Verdacht gänzlich falsch lag. Vielleicht war Mrs. Bliss oder Mrs. Fleming, wie sie sich jetzt nannte, gar nicht die Erpresserin.«
»Was ist dann passiert?«, fragte Venetia.
»Nichts.« Pierce zuckte mit den Achseln. »Mrs. Fleming ist vor ein paar Monaten zum ersten Mal in der feinen Gesellschaft aufgetaucht. Bis heute gab es keine weiteren Erpressungsversuche. Aber ich muss gestehen, dass mein Freund noch immer wie auf glühenden Kohlen sitzt. Die Drohung ist allgegenwärtig.«
»Wie schrecklich«, hauchte Venetia.
Pierce schaute versonnen ins Kaminfeuer. »Mein Freund achtet darauf, Mrs. Fleming so weit wie möglich aus dem Weg zu gehen, aber sie bewegen sich nun einmal in den gleichen Kreisen. Kürzlich ist er ihr im Theater begegnet.«
»Das muss ein Schreck gewesen sein«, bemerkte Venetia. »Was hat er gemacht?«
»Er hat natürlich so getan, als würde er sie nicht kennen.« Ein eisiges Lächeln spielte um Pierces Mundwinkel. »Es half sehr, dass sie ihm den Gefallen erwiderte und so tat, als würde sie ihn ebenfalls nicht erkennen. Bis heute wissen wir nicht, ob ihre Reaktion gekonnt geschauspielert war oder ob sie wirklich nicht wusste, wer er war.«
»Wie kann es denn sein, dass sie eines ihrer Opfer nicht wiedererkennt?«, wunderte sich Gabriel.
»Die Begegnung war kurz, und die Beleuchtung war schummrig«, erklärte Pierce. »Sie sind einander im Gang vor einer der Logen begegnet.« Er überlegte kurz. »An jenem Abend war mein Freund zufällig etwas anders gekleidet als bei seinen früheren Treffen mit ihr. Sie wissen ja, wie es ist, wenn man jemanden unvermittelt in einem anderen Umfeld sieht, um es einmal so auszudrücken.«
»Man sieht, was man zu sehen erwartet«, sagte Gabriel und sah zu Venetia in ihrer Herrenkleidung hinüber.
Harrow hockte sich wieder auf die Schreibtischkante. Er sah von Gabriel zu Venetia.
»Sie beide scheinen sehr besorgt wegen Mrs. Fleming«, bemerkte er.
»Ja«, bestätigte sie.
»Würde es Ihnen etwas ausmachen, uns zu sagen, warum?
« , fragte Harrow. »Es ist Pech, dass Ackland beschlossen hat, Sie zu engagieren, um Mrs. Fleming zu fotografieren, aber es ist kaum überraschend. Er ist schließlich ganz vernarrt in seine Mätresse, und Sie sind eine gefeierte Fotografin. Es ist völlig verständlich, dass er möchte, dass Sie ihr Porträt aufnehmen.«
»Das Unverständliche an der Sache ist, dass Mrs. Fleming anscheinend einen gänzlich irrationalen Hass gegen mich entwickelt hat«, sagte Venetia. »Meine Tante denkt, es sei bloße Eifersucht, weil ich eine einträgliche Karriere habe, während Mrs. Flemings finanzielle Sicherheit von Männern wie Lord Ackland abhängig ist. Aber ich glaube, dass mehr dahintersteckt.«
»Wie kommen Sie darauf?«, fragte Pierce und runzelte leicht die Stirn.
Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann Ihnen keine logische Antwort geben. Vielleicht fällt es mir einfach nur schwer zu glauben, dass jemand mich so hassen kann, obwohl ich der betreffenden Person nichts getan habe.«
»Burton hat Sie gehasst«, rief Harrow ihr ins Gedächtnis.
»Ja, aber in seinem Fall gab es eine Erklärung. Offenkundig hatte Burton eine Abneigung gegen alle Frauen, und gegen mich im Besonderen, weil ich im gleichen Metier wie er tätig war. Aber Mrs. Flemings Reaktion auf mich schien mir doch sehr unverhältnismäßig.«
»Ich sehe, was Sie meinen.« Pierce legte abermals seine Fingerspitzen gegeneinander. Er sah Gabriel an. »Ich persönlich würde Ihnen raten, allzeit auf der Hut zu sein. In ihrem früheren Gewerbe war Mrs. Fleming ausgesprochen geschickt darin, die intimsten Geheimnisse einer Person herauszufinden. Bis zum heutigen Tage weiß mein Freund
nicht, wie es ihr gelungen ist, hinter sein Geheimnis zu kommen.«
»Aber er muss doch wenigstens eine Ahnung haben, wie sie dahintergekommen ist«, sagte Gabriel.
Pierce seufzte tief. »Nein. Um ehrlich zu sein, ich muss Ihnen gestehen, dass selbst ich, all meiner Skepsis gegenüber diesen Scharlatanen und Schwindlern mit ihren angeblichen übersinnlichen Kräften zum Trotz, mich manchmal gefragt habe, ob Rosalind Fleming vielleicht tatsächlich über übernatürliche Fähigkeiten verfügt. Mein Freund schwört, dass sie
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