Verzaubertes Verlangen
möglich, dass eines der Mitglieder der Gesellschaft Mrs. Fleming unter die Lupe genommen hat.«
Venetia setzte sich abrupt auf, als sie begriff, was er meinte. »Nur um dann selbst unwissentlich in Trance versetzt zu werden und Informationen über die Entdeckung des Labors und den Fund der Formel zu enthüllen?«
»Es ist eine sehr entfernte Möglichkeit«, warnte Gabriel. »Selbst wenn Mrs. Fleming den Diebstahl der Formel arrangiert hat, sagt es uns nichts darüber, wie sie den Code des Alchemisten entschlüsseln wollte. Sie müssen mir vertrauen, wenn ich Ihnen sage, dass niemand außerhalb der Gesellschaft Zugriff auf die Schriften des Gründers hat und dass selbst innerhalb der Gesellschaft über die Jahre nur einer Handvoll von Mitgliedern gestattet wurde, sie zu studieren.«
Venetia lauschte geistesabwesend dem Rumpeln der Wagenräder und dem Klappern der Pferdehufe. Die Droschke kam in dem dichten Nebel nur langsam voran.
»Wenn Mrs. Fleming in die Sache um die gestohlene Formel verwickelt ist«, sagte sie schließlich, »dann könnten Sie tatsächlich mit Ihrer Idee Recht haben, dass ich ihre Aufmerksamkeit geweckt habe, als ich Ihren Nachnamen annahm.«
»Ja.«
»Und jetzt, da Sie auf der Bildfläche erschienen sind, ist ihr Verdacht bestätigt. Sie weiß doch zweifellos, wer Sie sind und dass Sie auf der Suche nach der Formel sind.«
»Aber sie hat allen Grund zu der Annahme, dass die Tatsache, dass sie die Diebin ist, bislang unentdeckt geblieben ist«, sagte Gabriel. »Schließlich steht sie in keiner offensichtlichen Verbindung zur Arcane Society. Sie wird annehmen, dass ich keinen Grund habe, sie zu verdächtigen.«
»Sie mag ja die Diebin sein, aber ich versichere Ihnen, dass sie nicht die Person war, die ich aus der Dunkelkammer habe flüchten sehen, in der Burton ermordet wurde«, erklärte Venetia. »Ich habe Mrs. Flemings Aura gesehen, als ich sie fotografiert habe. Es war nicht dieselbe wie die des flüchtenden Mannes.«
»Sind Sie da ganz sicher?«
»Absolut.«
Er ließ sich das einen Moment lang durch den Kopf gehen. »Es würde mich nicht überraschen, wenn sie jemand anderen die schmutzige Arbeit für sich erledigen ließe.«
Abermals erschauderte Venetia. »Der arme Mr. Burton. Er ist zumindest zum Teil meinetwegen gestorben. Hätte er nicht den Auftrag angenommen, mich zu beschatten und Fotos von mir zu machen –«
Gabriel beugte sich ohne Vorwarnung vor und packte ihre beiden Handgelenke mit seinen kräftigen Händen.
»Glauben Sie auch nicht einen Moment lang, dass Sie irgendeine Verantwortung in dieser Sache tragen«, erklärte er mit fester Stimme. »Harold Burton ist tot, weil er einen Auftrag von einem sehr gefährlichen Menschen angenommen hat, der ihn angeheuert hat, um Ihnen nachzuspionieren. Er muss gewusst oder zumindest geahnt haben, dass sein Kunde Ihnen nicht wohlgesonnen ist. Ich will nicht so weit gehen und behaupten, dass er den Tod verdient hätte, aber ich lasse auch nicht zu, dass Sie sich schuldig fühlen.«
Sie schenkte ihm ein schwaches Lächeln. »Danke, Gabriel.«
»Ich glaube, das ist jetzt das zweite Mal, seit wir in diese Kutsche eingestiegen sind, dass Sie mich bei meinem Vornamen genannt haben«, bemerkte er trügerisch beiläufig. »Mir gefällt es, wie er von Ihren Lippen klingt.«
Die knisternde, verführerische Spannung, die immer entstand, wenn sie mit Gabriel zusammen war, wurde schlagartig intensiver. Venetia fühlte die Kraft seiner Hände, die so sanft und doch so fest ihre Handgelenke umschlossen.
Er zog sie enger an sich, und seine Lippen pressten sich auf die ihren. Sie dachte, sie würde seine Küsse inzwischen gut genug kennen, um nicht von ihrer eigenen Reaktion darauf überrascht zu werden, doch sie hatte sich geirrt. Sie versuchte, das Feuer der Lust, das in ihr aufloderte und drohte, ihr Innerstes zum Schmelzen zu bringen, zu ersticken. Es gelang ihr nicht.
Ohne ihre Lippen freizugeben, ließ er eins ihrer Handgelenke los, um die Vorhänge vor den Fenstern zuzuziehen. Dann nahm er ihr die Perücke ab und machte sich daran, die Nadeln herauszuziehen, die ihr echtes Haar hochgesteckt hielten.
Die berauschende Intimität der Kutsche schlug sie in ihren Bann. Die Droschke verwandelte sich unversehens in ein Schiff, das gemächlich durch ein unerforschtes Meer aus Nacht und Nebel segelte.
Genauso war es in Arcane House gewesen, ging es ihr durch den Sinn. Sie war für kurze Zeit befreit von allen gesellschaftlichen
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