Verzaubertes Verlangen
Haar unter ihren Hut. »Das würde alles kaputt machen.«
»Wie bitte?«
Sie seufzte. »Es muss Ihnen doch bewusst sein, dass ich in Arcane House mein Möglichstes getan habe, um Sie zu verführen.«
»Ja, und Sie haben es wirklich ganz ausgezeichnet angestellt,
wenn ich das sagen darf. Ich habe das Erlebnis sehr genossen.«
Sie war sich bewusst, dass sie feuerrot anlief.
»Ja, nun, was ich sagen will, ist, dass ich es während unserer gemeinsamen Zeit in Arcane House darauf abgesehen hatte, Sie zu einer Nacht der verbotenen Leidenschaft zu verleiten.«
»Worauf wollen Sie hinaus?«
»Ich will darauf hinaus, dass die Dinge dort anders waren.«
»Anders?«
»Wir waren zwei Menschen, die an einem entlegenen, abgeschiedenen Ort allein waren.«
»Abgesehen von der Dienerschaft«, bemerkte er.
Sie sah ihn wütend an. »Abgesehen von der Dienerschaft natürlich. Aber die waren alle sehr diskret.« Sie plapperte unzusammenhängendes Zeug. Es war die reinste Katastrophe. »Es war, als wären wir auf einer tropischen Insel gestrandet.«
»Ich erinnere mich nicht an irgendwelche Palmen.«
Sie ignorierte die Bemerkung. »Ich habe Ihnen erklärt, dass ich für die Dauer jenes kurzen Intermezzos zum ersten Mal in meinem Leben frei war. Ich musste mir keine Sorgen machen, einen Skandal zu provozieren. Ich musste nicht befürchten, meine altjüngferliche Tante zu schockieren oder meiner Schwester und meinem Bruder ein schlechtes Vorbild zu sein. Arcane House war ein Ort und eine Zeit, die in einer anderen Dimension zu existieren schienen, einer Dimension, die weit entfernt von der realen Welt liegt. Sie und ich waren die einzigen Bewohner jenes fernen Reichs.«
»Abgesehen von der Dienerschaft.«
»Nun, ja.«
»Um noch einmal auf die Palmen zurückzukommen, an die ich mich nicht erinnern kann …«
»Sie nehmen das alles nicht ernst, stimmt’s?«
»Sollte ich das?«
»Ja, denn es ist sehr wichtig.« Ihre Verärgerung wuchs mit jedem Augenblick. »Was ich zu sagen versuche, ist, dass der heutige Abend ein ähnliches Erlebnis war.«
»Dessen bin ich mir nicht so sicher. Zuerst einmal waren da keine Palmen.«
»Vergessen Sie die verfluchten Palmen. Ich versuche zu erklären, dass das, was in Arcane House passiert ist, und das, was heute Abend in dieser Kutsche passiert ist, den flüchtigen Phantomen eines Traums gleicht, die sich bei Morgengrauen verflüchtigen und bei helllichtem Tag vergessen sind.«
»Das klingt sehr poetisch, meine Liebste, aber was zum Teufel wollen Sie damit sagen?«
»Ich will damit sagen, dass wir nie wieder über diese Angelegenheit sprechen werden«, erwiderte sie kühl. »Haben Sie das verstanden?«
Die Kutsche kam schaukelnd zum Stehen. Venetia griff nach ihrem eleganten Gehstock und drehte sich ruckartig zum Fenster um.
Ein dumpfes, doch deutlich hörbares Klatschen ertönte.
Gabriel räusperte sich. »Sie sollten etwas besser aufpassen, wo Sie Ihren Stock hinschwenken.«
Sie erkannte, dass sie in ihrer Nervosität und Aufregung aus Versehen auf sein Bein geschlagen hatte.
»Es tut mir leid«, entschuldigte sie sich entsetzt.
Er rieb sich mit einer Hand sein Knie, während er mit der
anderen die Tür öffnete. »Kein Grund zur Sorge. Ich dürfte im schlimmsten Fall kaum ein leichtes Hinken davon zurückbehalten.«
Sie folgte ihm krebsrot aus der Droschke und eilte die Eingangsstufen hinauf. Gabriel blieb kurz stehen, um dem Kutscher einige Münzen zuzuwerfen.
Als sie die Tür aufschloss, stellte sie zu ihrer Erleichterung fest, dass die anderen bereits alle zu Bett gegangen waren. Das Letzte, was sie jetzt wollte, war, ihrer Familie zu begegnen und deren Fragen darüber, was sie im Janus-Club herausgefunden hatte, zu beantworten. Sie brauchte Zeit, um ihre Fassung wiederzugewinnen. Eine ausgiebige Nachtruhe sollte alles wieder ins rechte Lot bringen.
Die Flamme der Wandlampe in der Diele war ganz klein gedreht. Venetia sah einen Umschlag auf dem Flurtisch liegen und hob ihn auf. Er war an Gabriel adressiert.
»Der ist für Sie«, sagte sie und hielt ihm den Brief hin.
»Danke.« Er schloss die Tür, nahm den Umschlag entgegen und inspizierte ihn kurz. »Der ist von Montrose.«
»Vielleicht hat er endlich etwas Interessantes in den Mitgliederunterlagen entdeckt.«
Gabriel riss den Umschlag auf und zog den Briefbogen heraus. Schweigend musterte er die Nachricht einen Moment lang.
»Nun?«, drängte sie.
»Die Botschaft ist in einem der Geheimcodes geschrieben, die
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