Verzehrende Leidenschaft
besser nicht zu oft darüber reden.« Er zückte seinen Dolch und fuhr mit dem Zeigefinger müßig über die scharfe Klinge. »Es kommt gar nicht so selten vor, dass jemand im Kampf seine Zunge verliert.« Nachdem er Tavig einen Moment lang eindringlich gemustert hatte, steckte er den Dolch zurück. »Wie geht es den Verletzten?«, fragte er den Mann zu seiner Rechten.
»Ihre Wunden sind nicht schlimm, doch sie sollten verbunden werden.«
»Aye. Wir sind heute viel geritten, deshalb werden wir hier unser Lager aufschlagen. Es ist ein guter Fleck, hier kann sich keiner unbemerkt anschleichen.« Er stieß Tavig wieder zu Boden. »Fessle ihn an den Füßen«, befahl er einem dürren, narbengesichtigen Mann.
Sobald Tavig gefesselt war, ließ man ihn liegen, wo er war, und er beobachtete die Männer, die sich nun um die Verwundeten kümmerten und ein Lager aufschlugen. Auch wenn sein ganzer Körper schmerzte, robbte er zu einem niedrigen Busch, um dem Wind zu entkommen. Der August war fast vorüber, und die kühle Brise kündete vom nahen Herbst. Die Schläge seiner Häscher hatten ihn schon genügend geschwächt, da wollte er sich jetzt wahrhaftig nicht auch noch eine Erkältung zuziehen.
Iver hatte gewonnen, es sei denn, ein Wunder geschah. Die Niederlage schmeckte Tavig ganz und gar nicht, und sie wurde noch bitterer, wenn er überlegte, wie nah er Mungan Coll war und dem Beistand, der ihm dort gewährt worden wäre. Wenn Moira bei Mungan eintraf und ihm erzählte, was passiert war, würde der sich bestimmt gleich auf den Weg machen, um ihn zu retten. Doch bis dahin hatten ihn MacBain und seine unbarmherzigen Männer schon längst an Iver ausgeliefert, und Mungan käme zu spät.
Bei dem Gedanken an Moira seufzte Tavig kummervoll, weil er sie wohl nie wiedersehen würde. Aber er war auch wütend über sich, dass er keine entsprechenden Vorkehrungen für so einen Fall getroffen hatte. Sie war nicht seine Frau, und er hatte weder die Mittel noch die Zeit gehabt aufzuschreiben, was er sich für ihre Zukunft wünschte. Ihr würde nichts anderes übrig bleiben, als sich wieder in Sir Bearnards brutale Obhut zu begeben. Tavig konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass er Moira im Stich gelassen hatte, und zwar gründlich.
Aber auch seinen Sohn hatte er im Stich gelassen, wie er sich grimmig eingestehen musste. Er hatte Adair nicht in aller Öffentlichkeit als sein Fleisch und Blut anerkannt. Das würde es dem Jungen sehr schwer machen, das, was ihm aufgrund seines Geburtsrechts zustand, einzufordern, auch wenn ihm das weitaus eher zustand als Iver. Trotz seines Aussehens würde Adair keinen Beweis erbringen können, dass er Tavig MacAlpins Sohn war. Und wenn man ihn von Moira trennte, stand er mutterseelenallein da. Es war nur ein schwacher Trost zu wissen, dass sich Mungan um den Jungen kümmern würde.
Aber immerhin sind sie noch am Leben, sagte er sich. Wenn Andrew MacBain und seine Spießgesellen auch Moira und Adair gefasst hätten, wären sie nicht lange am Leben geblieben. Wahrscheinlich hätte Tavig sogar mit ansehen müssen, wie Moira vor ihrer Ermordung missbraucht wurde. Schon bei der bloßen Vorstellung krampfte sich sein Magen zusammen. Tavig betete, dass Moira so vernünftig war, das zu tun, was er ihr befohlen hatte.
* * *
Moira starrte zum Himmel, nachdem sie Adairs Lumpen gewechselt hatte. Sie konnte nicht länger leugnen, dass die Sonne unterging und von Tavig weit und breit nichts zu sehen war. Sie setzte Adair wieder in seine Schlaufe, legte ihre Beutel mit den Vorräten in eine weitere Decke und machte daraus eine Art Packtasche, die sie der Ziege auf den Rücken band. »Geh direkt zu den Hügeln«, hatte Tavig ihr befohlen. Nach einem weiteren Blick auf den friedlich schlafenden Adair wurde ihr klar, dass ihr nichts anderes übrig blieb. Ihre einzige Hoffnung, und sie wusste, es war nur eine winzig kleine, bestand darin, Mungan Coll rechtzeitig zu erreichen, damit er Tavig zu Hilfe eilen konnte. Doch sie bezweifelte, dass sie schnell genug dort eintreffen würde, und außerdem würde Iver Tavig wohl nicht mehr sehr lange leben lassen, wenn er ihn erst einmal in seinen Fingern hatte.
»Und auch dich würde er nicht sehr lange leben lassen, mein kleines Kerlchen«, murmelte sie, als sie sich mühsam einen Weg durch den Wald bahnte, den Blick immer auf die vor ihr liegenden Hügel gerichtet, die störrische Ziege hinter sich herzerrend. »Du bist Tavigs Sohn. Er hat sich zwar nicht öffentlich
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