Verzehrende Leidenschaft
zu dir bekannt, und du hast auch keine Dokumente, aber du siehst ihm ähnlich genug. Iver würde schon beim ersten Blick wissen, wer du bist. Er wird nicht weiter darüber nachdenken, dass du zum Beweis für deine Ansprüche nichts vorlegen kannst, er wird nur Tavigs Sohn sehen und dich aus der Welt schaffen wollen. Ich wünschte nur, dass es, wenn ich dein Leben rette, nicht bedeuten würde, sämtliche Chancen zu verlieren, um Tavigs Leben zu retten. Auch wenn ich nicht wüsste, wie ich ihm helfen könnte«, grummelte sie und schob einen Ast beiseite, der ihr im Weg war.
Adair gurgelte schläfrig, griff nach ihrem langen Zopf und drückte ihn sich an die Wange, während er die Augen zumachte. Moira strich ihm über die schwarzen Locken und seufzte. Einerseits krampfte sich ihr Herz zusammen aus Angst um Tavig, andererseits wusste sie instinktiv, dass sie sich von ihm entfernen und das Kind retten musste. Sie hoffte nur, dass Adair, wenn er alt genug war, verstehen würde, warum sie sich so entschieden hatte und wie schwer ihr diese Entscheidung gefallen war.
Als sie aus dem Wald trat, wichen die Farben des Sonnenuntergangs gerade dem stumpfen Grau der Dämmerung. Wieder blickte sie auf die Hügel, die sie überqueren musste, und runzelte die Stirn. Vor ihr erstreckte sich eine offene Ebene, auf der nur ein paar windschiefe Büsche standen. Keiner davon war groß genug, dass sie sich mit dem Kind und der Ziege dahinter verstecken konnte. Das Gras stand zwar hoch, aber es würde sie nur verbergen, wenn sie kroch, und die Ziege konnte nicht kriechen.
Moira band das Tier am Ast eines niedrigen Baumes fest, dann trat sie an den Rand der Ebene. Vor ihr entdeckte sie keine Spur von Tavigs Feinden, doch sie wusste, das bedeutete nicht, dass sie nicht mehr da waren. Vorsichtig ging sie, noch immer im Schutz der Bäume, ein paar Schritte nach Westen, doch auch da sah sie zu ihrer Erleichterung niemanden.
Aber als sie nach Osten blickte, erstarrte sie. Dort flackerte ein Feuer, und sie konnte sechs Männer darum ausmachen. Ihre größte Aufmerksamkeit erregte jedoch eine am Boden liegende Gestalt, die halb versteckt war von einem niedrigen Busch. Sie war sich sicher, dass sie Tavigs Jäger vor sich hatte, und auch Tavig selbst. Als die liegende Gestalt sich ein wenig rührte, seufzte sie erleichtert auf. Tavig lebte.
Adair begann ein wenig zu strampeln, und sie schimpfte halblaut vor sich hin. Tavig so nahe zu wissen und noch dazu lebendig, hatte sie kurzzeitig vergessen lassen, was an erster Stelle stand. Doch nun, da sie wusste, dass er in ihrer Reichweite war und lebte, wie konnte sie da ihren Weg fortsetzen?
Und was, glaubst du wohl, kannst du tun?, fragte eine spöttische Stimme in ihrem Kopf. Moira hatte keine Antwort. Doch als sie die Männer weiter beobachtete, formte sich eine Idee in ihr. Tavigs Häscher tranken ganz offenkundig kein Wasser aus den Ledersäcken, die sie sich an den Mund hielten. Selbst von ihrem Beobachtungspunkt aus hörte sie, dass die Kerle immer lauter wurden, also ganz offenkundig immer betrunkener. Wenn sie in dieser Geschwindigkeit weitertranken, würden sie bald nichts mehr um sich herum wahrnehmen.
Schließlich fasste sie einen Entschluss, wobei sie inständig hoffte, dass ihre Gefühle nicht über ihre Vernunft gesiegt hatten. Sie kehrte zu der Ziege zurück, band sie los und wickelte ihr das Maul zu, dann schlug sie den Weg zu den Hügeln ein. Sie blickte immer in die Richtung, in der sie das Feuer entdeckt hatte, doch sie sah es erst wieder, als sie nur noch wenige Schritte vom steinigen Fuß der Hügel entfernt war. Die letzten Schritte legte sie im Laufschritt zurück, denn sie konnte es kaum erwarten, zwischen den Felsen Deckung zu finden.
Die Ziege hinter sich herzerrend, lief sie über den steinigen Boden, bis sie einen Pfad entdeckte, den offensichtlich Viehtreiber getrampelt hatten. Sie band die Ziege an einem vom Wind zerzausten Busch fest, dann suchte sie nach einem guten Platz, an dem sie Adair verstecken konnte. Sie hatte zwar nicht vor, ihn lange allein zu lassen, doch sie brauchte einen Ort, der Schutz bot vor der Nachtluft und vor streunenden Tieren.
Als sie nichts Geeignetes fand, ließ sie sich gegen einen moosbedeckten Stein sinken. Ihr war klar, dass sie das Kind nicht einfach zurücklassen konnte, nicht einmal für kurze Zeit. Wenn ihr etwas zustieße, würde er sterben. Sie musste den Kleinen wohl oder übel mitnehmen, auch wenn sie sich fragte, ob sie nun
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