Verzehrende Sehnsucht
hingeben wollen – schmutziger Boden hin oder her. Deshalb denke ich, dass ich lieber meine Harfe holen sollte."
"Ich glaube, du hast Recht", antwortete er. "Und ich weiß deine Weisheit und Selbstbeherrschung sehr zu schätzen. Mir scheint, mir sind die beiden Eigenschaften irgendwo beim Ritt über die Wiese abhanden gekommen."
Sie lachte, ging zu Claudia und zog die gut eingepackte Harfe aus der Ledertasche, die seitlich an ihrem Sattel befestigt war. Obwohl Becca beim Reiten hatte Vorsicht walten lassen, waren die Saiten verzogen. Sie begann, das Instrument zu stimmen. Sie merkte, wie Blaidd sie dabei beobachtete.
"Kannst du spielen?" fragte sie, als sie sich neben ihn setzte.
Blaidd hatte die Beine lässig übereinander geschlagen und wirkte vollkommen entspannt. Er grinste sie an. "Ein bisschen. Aber du spielst viel besser als ich."
"Ist das wirklich wahr? Oder versuchst du nur, bescheiden zu sein?"
"Es ist wahr."
"Ich würde dich trotzdem gern spielen hören. Bitte." Sie hielt ihm die Harfe hin.
Er richtete sich auf, stellte die Beine nebeneinander und nahm die Harfe. Das Instrument war nicht viel wert. Doch für sie war es kostbar. Und deshalb behandelte er die Harfe so achtsam, als wenn sie aus Gold und Edelsteinen gefertigt wäre. Und das gefiel Becca.
"Ich stelle fest, dass es mir schwer fallen wird, Euch je etwas abzuschlagen, Mylady", meinte er und begann, das Instrument nun seinerseits zu stimmen.
"Vielleicht würde es helfen, wenn du aufhören würdest, mich 'Mylady' zu nennen."
"Vielleicht würde es das … Becca … aber ich bezweifle es." Er hob ihre Hand zum Mund und küsste sie. "Ich glaube tatsächlich, dass du fähig bist, mich für den Rest meines Lebens um diesen kleinen Finger wickeln zu können."
Sein Kuss begeisterte sie, aber seine Worte entzückten sie noch viel mehr. Hatte er tatsächlich gesagt: den Rest seines Lebens?
Die Art, wie er ihren Namen aussprach, mit dieser tiefen, sanften Stimme … "Ich hingegen befürchte, dass Ihr mich so weit bekommt, alles für Euch zu tun, was Ihr wünscht, Herr Ritter."
Seine Augen glitzerten verwegen und verführerisch. "Wirklich?"
Sie schluckte. Ihre Hände zitterten, als sie sie im Schoß faltete. "Vielleicht solltet Ihr jetzt singen."
Er überlegte einen Moment und strich nachlässig über die Saiten. Dann hielt er kurz inne, bevor er zu spielen und zu singen begann. Auf Walisisch.
Sie hatte keine Ahnung, was seine Worte bedeuteten. Doch sie wusste, dass er ein Liebeslied sang. Es konnte gar nicht anders sein, so wie seine tiefe, weiche Stimme den Wald erfüllte.
Er sang nur für sie.
Sie hielt den Blick auf seine starken, schlanken Finger gerichtet. Diese Finger waren zu viel mehr in der Lage, als das Schwert zu führen oder die Lanze. Seine Hände waren weder glatt noch weich, so wie die Hände vieler Edelleute. Er hatte die Hände eines Mannes, und wenn Becca ihn berührte …
Ihr Atem beschleunigte sich. Sie betrachtete seinen Kopf, während Blaidd über die Harfe gebeugt dasaß. Er war eine interessante, aufregende Mischung aus zivilisiert und ungezähmt. Er war höflich und doch urwüchsig in seiner Leidenschaft. Er konnte singen und die Harfe spielen, gut reiten, den Bogen spannen, tanzen … gab es eigentlich etwas, das er nicht konnte?
Die Töne verklangen. Blaidds Stimme verstummte. Er sah sie erwartungsvoll an.
"Das war wunderbar. Auch wenn ich kein einziges Wort verstanden habe."
"Es geht um einen Mann, der weit von zu Hause weg ist und an die Frau denkt, die er liebt. Er fragt sich, was sie wohl macht und ob sie ihn genauso vermisst wie er sie. Er erinnert sich an all die kleinen Dinge, die Art, wie sie sich das Haar aus dem Gesicht streicht, die winzigen Lachfältchen um die Augen herum, wenn sie lächelt, die Wärme des gemeinsamen Lagers."
"Ich habe gespürt, dass es ein Liebeslied war", erwiderte sie glücklich.
"Was hätte ich dir sonst vorsingen sollen, Becca?" flüsterte er und legte die Harfe vorsichtig auf den Baumstamm.
Becca wusste nicht, was sie antworten sollte. Aber sie hatte auch keine Zeit nachzudenken, da Blaidd sie wieder an sich zog. "Ich würde dir gern den ganzen Tag Liebeslieder vorsingen, wenn ich könnte."
Sie lächelte. "Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ein Mann mit so viel Energie wie du dessen müde werden würde."
Er legte ihr vorsichtig eine Strähne hinters Ohr, die ihr ins Gesicht gefallen war. "Da hast du wahrscheinlich Recht. Ich brauche auch immer ein wenig
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