Verzehrende Sehnsucht
schwieg und warf seinem Bruder einen finsteren Blick zu. Dann griff Blaidd nach dem Weinkrug.
Kynan sagte ein paar Minuten nichts und beobachtete seinen Bruder beim Essen und Trinken. Blaidd tat so, als wenn ihm das gleichgültig sei, und widmete sich ganz der Mahlzeit.
"Du hast mir nicht erzählt, dass sie verkrüppelt ist."
"Das ist nun wirklich einerlei."
"Du hättest es zumindest erwähnen können. Ich habe angenommen, dass sie wegen ihrer Verwundung so merkwürdig geht und darauf angesprochen. Sie musste es richtigstellen, was mir peinlich war, ihr aber nichts auszumachen schien."
Blaidd nahm wortlos einen Apfel und biss hinein.
"Was, glaubst du, wird Henry mit ihr tun?"
"Ich bin mir nicht sicher", erwiderte Blaidd kauend. "Ich habe mit Gervais Fitzroy gesprochen. Er scheint zu glauben, dass sie nicht wegen Verrats angeklagt wird, sollte ich für sie bürgen. Wenn sie ein königliches Mündel wird, bestimmt Henry über ihren gesamten Besitz. Das sollte ihn versöhnlich stimmen."
"Das sind doch gute Aussichten, nicht wahr?"
Blaidd zuckte mit den Schultern. "Das Vermögen geht jedoch an Beccas Ehemann über, sobald sich der König entscheidet, sie mit jemandem seiner Wahl zu verheiraten. Wen immer er auch wählt, Lady Rebecca kann sich nicht wehren, wenn sie nicht doch angeklagt werden will."
"Stimmt", sagte Kynan. "Aber immerhin ist ihr Leben nicht in Gefahr."
Aber sie war nicht frei.
"Ihre Mitgift sollte besser beträchtlich sein", meinte Kynan. "Ich glaube nicht, dass allzu viele Männer bereit sein werden, die verkrüppelte Tochter eines Verräters zu heiraten."
Die widerstreitenden Gefühle, die Blaidd seit Tagen bekämpft hatte, brachen plötzlich hervor. Wutentbrannt warf er den Apfel auf den Tisch. Mit finsterem Blick erhob sich Blaidd langsam und wirkte wie ein Kriegsgott, der zur Schlacht bereit ist. "Nenne sie niemals wieder verkrüppelt!"
Kynan starrte ihn ungläubig an. "Blaidd, was ist denn in dich …" Schließlich dämmerte es ihm. "Du magst sie."
Blaidd rang um Beherrschung. "Ich respektiere und bewundere sie."
"Mehr als das." Kynan lief langsam um den Tisch herum und ließ seinen Bruder keinen Moment aus den Augen. "Du magst sie wirklich."
"Kannst du auf einmal hellsehen?" Blaidd verschränkte die Arme vor der Brust und beobachtete seinen Bruder.
"Ich kann zwar nicht hellsehen, aber man merkt, dass Lady Rebecca dir sehr am Herzen liegt. Vielleicht zu sehr. Was ist da oben im Norden passiert, Blaidd – was hat sich wirklich ereignet?"
"Das habe ich dir doch schon erzählt."
Kynan schüttelte den Kopf. "Scheinbar nicht alles. Bei weitem nicht alles. Ich habe dich noch nie so erlebt. Etwas hat meinen zuvorkommenden, heiteren Bruder in einen barschen, missgestimmten Bären verwandelt. Oder sollte ich besser sagen, jemand?"
"Ich will nicht darüber reden."
"Nein? Das ist wirklich merkwürdig. Nicht, dass du je die Neigung hattest, mich mit den Geschichten über deine Eroberungen zu ergötzen, aber zumindest hast du …"
Blaidd ballte die Hände zu Fäusten. "Es reicht, Kynan!"
"Noch nicht. Zuerst beantworte mir diese Frage: Liebst du diese Frau?"
Blaidd gab keine Antwort. Doch Kynan erkannte an den Augen seines Bruders, wie es um Blaidd bestellt war. "Um Himmels willen", stöhnte er, "du wirst sie doch nicht heiraten wollen?"
Kynan hatte Blaidd bei Turnieren im Kampf erlebt; er kannte das "kriegerische" Gesicht seines Bruders. Er hatte die unwiderrufliche Entschlossenheit gesehen, die es Blaidd unmöglich machte nachzugeben. Und er nahm sie jetzt wahr, als Blaidd erwiderte: "Was geht es dich an, wenn ich es täte?"
Mit entsetzt aufgerissenen Augen ließ Kynan sich auf den nächstbesten Stuhl fallen und seufzte. "Das kann doch nicht dein Ernst sein! Was wird Vater sagen? Und Mutter? Ganz zu schweigen vom König? Ihr Vater war ein Verräter, Blaidd – du weißt das besser als jeder andere."
"Das stimmt", entgegnete Blaidd. "Ich habe den Mann getötet, erinnerst du dich? Auch wenn das gerechtfertigt gewesen sein mag, wenn man bedenkt, was Beccas Vater getan hat, war ich derjenige, der ihm den tödlichen Schlag versetzt hat. Ich war derjenige, der ihr mitgeteilt hat, dass ich es gewesen bin. Ich habe sie angelogen und ihr verschwiegen, warum ich eigentlich nach Throckton Castle gekommen bin. Ihre Schwester hat das Land verlassen. Zum Teil wegen meines Handelns. Jetzt liegt Beccas Zukunft in Henrys Hand. Und sie wird aus Angst vor dem Tod nicht wagen, sich seinen Befehlen zu
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