Verzeihung, sind Sie mein Koerper
liebevoll.
Zum Abschluss möge das Gesagte eine Aufstellung veranschaulichen, in der die »Liebe frei von Mitgefühl« eine für ihr Wesen signifikante Wendung des Geschehens auslöste.
Herr M. beklagt seinen Mangel an der Fähigkeit, über sich selbst zu bestimmen, und fühlt sich ständig von den Ansprüchen seiner Umgebung manipuliert. Das will er sich in einer Aufstellung anschauen. Wir wählen:
â Fokus,
â die Neigung, sich fremdbestimmen zu lassen,
â das, was dahinter steht,
â das Mitgefühl,
â die Liebe frei von Mitgefühl.
Das Mitgefühl wird sehr bald zu einem kindlichen Anteil des Klienten, die Liebe bleibt eine klare, helle Position. »Das, was dahinter steht« wird zu einer drohenden Position hinter dem Fokus. Sie bezeichnet sich als »Macht und Vernichtung all dessen, was sich ihr in den Weg stellt«. Bald wird klar, dass da eine kollektive Vernichtungsenergie aus dem Zweiten Weltkrieg steht. Der Vater des Klienten war im KZ gewesen. Ausgeliefert, fremdbestimmt. Die Liebe frei von Mitgefühl verändert ihre Position im Laufe des Prozesses, befindet sich auf der Achse der Vernichtungsenergie, steht ihr auf groÃem Abstand gegenüber,
der Fokus bezieht zwischen den beiden Position, nahe an der kollektiven Macht, die unbeweglich und unbeirrbar bei ihren Aussagen bleibt.
Die Liebe nimmt Augenkontakt mit der vernichtenden Macht auf und sagt auf meine Bitte hin: »Ich bin die Liebe.«
Die Macht sagt: »Ich bin die Macht.«
Darauf die Liebe: »Ich bin die Liebe.«
Die Macht: »Ich bin die Vernichtung.«
Darauf wieder die Liebe: »Ich bin die Liebe.«
Die Macht: »Ich erzeuge Angst.«
Die Liebe: »Ich bin die Liebe, ich bin hier und ich darf sein, du bist dort und auch du darfst sein, ich habe meinen Platz und auch du hast Deinen Platz, ich bin ein Teil des Mensch-seins und du bist es auch, ich respektiere dich als das.«
Langsam werden Gesicht, Haltung und auch die Stimme der Macht weicher. Sie bittet, sich umdrehen und auf Abstand gehen zu dürfen. Ihr Bann ist gebrochen, die dunkle Macht ist dabei zu weichen, zur Erleichterung des ganzen Systems, aber auch zu ihrer eigenen Erleichterung.
Was löste diese Veränderung aus? Die Liebe frei von Mitgefühl gab sich und auch der dunklen Macht einen Platz, sie gab ihnen beiden die Erlaubnis zu sein und bestätigte sich selbst und der dunklen Macht die Zugehörigkeit zum Menschsein. Sie tat es auf Augenhöhe, nicht anklagend, sondern voll Respekt.
Dieser Art von Liebe kann sich die Dunkelheit auf Dauer nicht entziehen. In jeder Dunkelheit wohnt ein Licht, das auf Befreiung wartet. (CL)
Arbeit im Grenzbereich Behinderung
Vor dem Hintergrund der Ãberlegungen zu Beginn des Buches möchte ich gerne von meiner Arbeit mit Behinderten erzählen, um zu veranschaulichen, wovon dort schon die Rede war, denn extreme Situationen führen zu transparenteren Informationen, als dies der übliche Therapiealltag möglich macht. Abgesehen davon berührt und bewegt mich diese Arbeit sehr.
Das Folgende erhebt keinerlei Anspruch auf Wissenschaftlichkeit, es handelt sich um einen Erlebnisbericht. Bevor ich jedoch meine Erzählung beginne, möchte ich hervorheben, dass ich bei der Arbeit mit Behinderten rein phänomenologisch vorgehe. Das heiÃt, ich betrachte die Aussagen der Aufstellungen als »wahr«. Ich arbeite mit den Aufstellungsergebnissen, als wären sie Tatsachen, da es bei diesen Klienten keine Möglichkeit einer Rückkoppelung über Sprache gibt, um die Ergebnisse zu verifizieren.
Ich hatte im Laufe der Jahre bei der Begleitung von Familienaufstellungen wiederholt die Erfahrung gemacht, dass sich die Repräsentanten von schwer behinderten Familienmitgliedern frei und souverän äuÃerten, ihre körperliche Verfassung als angemessen bezeichneten, ihren Weg und ihre Bestimmung kannten und auch manchmal über das Schicksal anderer Familienmitglieder Bescheid wussten. Zum Teil agierten sie wie eine überpersönliche Instanz und baten nur die Familie, sich weniger Sorgen zu machen. Der Weg des Kranken sei »stimmig«.
Ich versuchte, dieses Phänomen zu verstehen, und kam zu folgender Hypothese: Im Sinne des »Doppelten Ursprungs« (Dürckheim) sind wir aus Geist und Materie geboren und tragen
demnach zwei Bewusstseinsräume in uns: einen, der dem geistigen Aspekt in uns verpflichtet ist, und
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