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Verzweifelte Jahre

Verzweifelte Jahre

Titel: Verzweifelte Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitta Sirny-Kampusch
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Telefonnummer wurde eingeblendet. Ich kannte sie auswendig.

    *

    Das schmiedeeiserne Tor war offen. Im Vorgarten war ein Tulpenbeet angelegt, die Farben bunt durcheinander. Der Rasen sah aus wie mit der Rasierklinge geschnitten, genau in der Mitte ein Magnolienbaum. Im Gras lagen die abgefallenen Blüten, sie bedeckten es wie ein weißrosa Teppich. Merkwürdig, dachte ich, Magnolien, so spät?
    Ich blieb stehen und sah mich um. Was für ein schöner Garten, was für eine schöne Gegend. Döbling, einer der Nobelbezirke Wiens, da versteht man, warum. Ein Haus wie ein Herrensitz. Schönbrunner Gelb, kleine weiße Säulen, leicht umrankt von Efeu. Ich ging weiter zum Portal. An der Hauswand daneben hing eine Klingel aus blank poliertem Messing. Ich läutete. Das goldene Schild auf dem dunklen Holz des Eingangs war mit edel geschwungener schwarzer Schrift verziert. Dr.... Die Tür ging auf.
    Ein Sir stand vor mir, mit schulterlangen Haaren wie aus Asche, im Tweedsakko, das Stecktuch bauschte sich neben dem Revers. Man sah sofort, dass das ein teurer Stoff war. Oder vielleicht sah es auch nur ich.
    »Willkommen, gnädige Frau«, sagte er mit der Stimme eines Hypnotiseurs. »Treten Sie ein .« Er drehte sich beiseite und machte eine Geste mit dem rechten Arm, als würde er Rosen streuen.
    Er kam mir merkwürdig vor. Das kann’s ja jetzt wohl nicht sein, dachte ich und ging hinein. Er führte mich ins Esszimmer und setzte mich an die Stirnseite einer imposanten Tafel.
    Am Telefon war mir seine angenehme, tiefe Stimme aufgefallen, er hatte wie ein Schauspieler gesprochen. Womit er sich genau beschäftigte, wollte er nicht sagen, das sei zu kompliziert. Er sei ein Hellsichtiger, da müsse man sich zusammensetzen.
    »Womit arbeiten Sie ?« , fragte ich. Ich sah weder Karten noch sonstige Utensilien. »Mit Gläsern.« Er ging zur Vitrine, holte ein Wasserglas und aus der Schublade darunter ein Holzbrett mit Buchstaben drauf. Beides baute er auf dem Tisch auf. »Das ist ein Ouija-Bord. Hier sehen Sie die Lettern des Alphabets«, er strich sorgsam über das Brett, »und hier die Worte Ja und Nein«. Ich nickte. »Wir legen jetzt beide den rechten Zeigefinger auf das Glas und konzentrieren uns auf die Frage. Dann wird das Brett zu uns sprechen. Die Séance kann beginnen .« Wir berührten das Glas. Es fuhr mit uns herum, von A bis Z. Ich hatte nicht den Eindruck, dass da höhere Mächte im Spiel waren. Minutenlang wanderte das Glas kreuz und quer über die Fläche. Das Wort, das bei der Prozedur herauskam, war XJGHLIUTGDSW. »Lassen wir das besser«, sagte ich. Die Szenerie hatte etwas Lächerliches. Ich fühlte mich unbehaglich und rutschte auf dem Sessel hin und her. Er schien es nicht zu bemerken. »Jetzt öffnen wir eine Flasche Chablis«, sagte er fast fröhlich, als gäbe es was zu feiern. »Danke, ich trinke nicht .« So hellsichtig war er offenbar auch wieder nicht. »Was können Sie mir sagen über die Natascha ?« Er sah mich lange an. »Natascha.« »Ja, deswegen bin ich ja da .« »Nun, Natascha... « »Na?« »Natascha ist tot«, sagte er. Ich sprang auf, dass der Sessel hinter mir umfiel, und rannte aus dem Haus. Im Auto lehnte ich mich im Sitz zurück und versuchte mich zu fangen. Mein Gott, Natascha, dachte ich, so ein Irrer, wir haben doch gar keine Zeit für solche Spinner, du wartest auf mich, und der stiehlt uns die Zeit, aber wie hätte ich das wissen sollen, am Telefon klang er so seriös, ich muss da in Zukunft immer genauer nachfragen, entschuldige bitte, ab jetzt werd ich mehr aufpassen, halt durch, wir schaffen es schon, wir schaffen es.

    *

    Die Zuversicht ist eine untreue Seele.
    In den Nächten ging sie manchmal flanieren und ließ mich allein auf meiner Couch. Ich schlief immer noch auf der Couch, oder das, was ich Schlafen nenne. Seit diesem Tag im März hatte ich mein Bett nur beim Aufräumen gesehen. Die Tage stand ich einigermaßen durch. Die Hoffnung trieb mich von einem Termin zum anderen. Die Parade der Hellsichtigen riss nicht ab. Ständig meldeten sich neue. Das Telefon stand kaum ein paar Stunden still. Ich redete mit jedem. Aber nun erkundigte ich mich genau, was mich erwartete. Die, die nicht an Nataschas Gefangenschaft glaubten, wimmelte ich sofort ab. Den Tod blendete ich aus, es gab ihn nicht für mich.
    Ein Haus wie das in Döbling kam mir nie wieder unter. Hellsichtige wohnen nicht in Nobelgegenden. Sie sind ein seltsames Völkchen und fühlen sich wohler in seltsamen

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