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Verzweifelte Jahre

Verzweifelte Jahre

Titel: Verzweifelte Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitta Sirny-Kampusch
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Und gleich daneben der Friedhof. Denk nicht weiter, stoppte mich das Innere, Friedhöfe gibt’s überall. Ich stieg aus und ging zum Haus. Ich drückte die Klinke der Haustür nach unten, abgesperrt. Die Fenster waren seit Ewigkeiten nicht geputzt worden, man sah kaum durch die Scheiben. Ich klopfte gegen das Glas, keiner da. Ich wischte mit der Handkante den Staub ab, formte einen Tunnel mit den Händen und lugte hinein. Ein Geräusch ließ mich zurückschrecken, bevor ich was erkennen konnte. Ich drehte mich um. Eine schwarze Katze machte einen Buckel und fauchte mich an. Warst das du ?, fragte ich mich. Aber ich bekam keine Antwort.

*

    Die Dame mit dem Zauberbleistift hatte Fingernägel wie Krallen. Gepflegt und unregelmäßig rot, als hätte sie Blutstropfen drauf fallen lassen. Sie stachen heraus in der Umgebung, die sich wenig von den Wohnungen der anderen Mystiker unterschied. Nur die Küche war aufgeräumt. Aber so wie die Frau aussah, aß sie vermutlich nie was. Ihre Figur war tadellos. Das Kleid mit dem Leopardenmuster, das sie trug, saß wie eine zweite Haut.
    Sie erklärte mir ihren Zugang zum Überirdischen. Sie bezog ihre Informationen schriftlich. »Mit diesem Bleistift«, sagte sie und hielt mir eine Art Miniatur-Hocker hin. Drei Beine in der Größe längerer Zündhölzer, der Vierte in der Mitte ein Stift.
    »Das ist wie Tischerlrücken«, sagte ich. Sie sah aus, als hätte ich sie Trampel genannt. »Ich meine, es funktioniert ungefähr auf die Tour«, verbesserte ich mich.
    »Nicht ganz, Frau Sirny.« Ihr Ton war eine Spur distanzierter, sie setzte eine sehr professionelle Miene auf. Ich hätte gern vom Carpenter-Effekt angefangen, der mir bei den Recherchen über die Methoden der Hellsichtigen untergekommen war und den die Skeptiker immer aufs Tapet bringen, wenn sie beweisen wollen, dass das alles Humbug war. Demzufolge ginge es bei den Séancen, wo sich irgendwas bewegt, bloß darum, dass man alle Beteiligten so in eine Erwartungshaltung versetzt, dass ein Befehl im Gehirn die unwillkürliche Muskulatur aktiviert. Die kollektive Kraft, die dabei entsteht, schiebt dann die jeweiligen Gegenstände durch die Gegend. Mir leuchtete das ein, aber ich hatte mich noch nicht entschieden, ob es tatsächlich nicht doch etwas anderes gab zwischen Himmel und Erde. Auch deshalb hielt ich den Mund. Die Leoparden-Dame redete umso mehr. Ihre Ausführungen ermüdeten mich etwas, ich hätte lieber schon gesehen, was der Bleistift kann. Trotzdem hatte ich nicht das Herz, sie zu unterbrechen in ihrer Begeisterung für das Spirituelle. Endlich stand sie auf und dimmte das Licht. Hellsichtige brauchen es etwas dunkler. »Ich frage, der Bleistift antwortet mit Ja oder Nein«, sagte sie. Diese Erklärung hätte mir gereicht, dachte ich. Wir legten die Hände auf das winzige Gestell, fast wie beim Ouija-Spezialisten und seinem Glas. »Sind Sie bereit ?« Ich schloss kurz die Augen und war ganz bei Natascha. »Ist sie am Leben ?« Der Stift bewegte sich. Ein gekrakeltes Ja erschien auf dem Papier. »Geht es ihr gut ?« Wieder ein Ja. »Ist sie entführt worden ?« Noch ein Ja. »Kennen wir den Entführer ?« So etwas wie ein Ja. »Ist es der Vater ?« Der Ansatz von einem J, aber nichts, was einem Nein ähnlich sah. Die Auskunft warf mich nicht aus der Bahn. Der Verdacht war so oft auf den Koch gefallen, dass ich da vielleicht wirklich schon so eine Ausstrahlung hatte und unabsichtlich was beeinflusst habe, wie dieser Carpenter das eben erklärt. »Wird sie gefangen gehalten ?« Ja. »Ist sie verletzt ?« Das Zeichen sah anders aus. Eindeutig konnte ich nur ein großes N erkennen. »Ist sie in der Nähe ?« Der Stift fuhr auf dem Papier herum, zeichnete Linien und rechte Winkel. Es war weder ein Ja noch ein Nein. Das Medium hielt inne und studierte die Hieroglyphen. »Können Sie was erkennen ?« , fragte ich. »Da ist ein... « »Ein?« »Eine Art... ein Schacht. Sie liegt in einem Schacht .« »In einem Schacht?« Meine Stimme gehorchte mir nicht ganz. »Werden wir sie finden ?« , fragte die Frau weiter. Der Stift schrieb ein Nein. Ziemlich deutlich. »Können Suchhunde sie aufspüren ?« Nein. »Nicht weiterfragen«, bat ich. Mehr würde ich heute nicht ertragen. Tina hörte mir aufmerksam zu. Wir saßen seit dem frühen Abend bei mir im Wohnzimmer, ich hatte ihr die letzten Stationen meiner Odyssee in die Schattenwelten erzählt. Was mir absurd vorgekommen war, was mich verstörte, was ich glauben konnte. Sie

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