Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verzweifelte Jahre

Verzweifelte Jahre

Titel: Verzweifelte Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitta Sirny-Kampusch
Vom Netzwerk:
Unterkünften. Sie haben es nicht so mit der Sauberkeit, sie leben zwischen Kleiderbergen, gebrauchtem Geschirr, Nippesfiguren und Glaskugeln. Sie leben woanders. Wenn irgendwo was blüht, dann die Fantasie. Nur bei einer der Kartenlegerinnen lagen überall schneeweiße und mit Spitzen besetzte Deckchen herum. Kommen Sie mir ja nicht auf die Tücher an, sagte sie. Als ob mir das eingefallen wäre.
    Ich traf nicht alle in Wohnungen. Manche schleppten mich zu den unmöglichen Orten, die sie in ihren Karten, in ihren Kugeln, in ihrem Kaffeesud gesehen hatten. Immer wieder führten sie mich zu Tümpeln und Teichen, wir wateten kniehoch im Wasser. Dass wir nichts fanden, schien ihnen am wenigsten auszumachen. Sie entschuldigten sich nicht, wenn der sechste Sinn uns wieder ins Leere führte. Das Übersinnliche ist unberechenbar. Ich eignete mir diese Sicht der Dinge an und machte weiter. Ob meine Familie das ganz verstand, wusste ich nicht, aber sie stand hinter mir.
    »Mama«, sagte Sabina, »dass es dir nur nicht zu viel wird .«
    Ich kam gerade von einer Astrologin. »Geht schon«, sagte ich, »die Frau war nett .« »Gibt’s was Neues ?« »Ja. Sie hat berechnet, wann die Natascha zurückkommt. Im Jahr 2000. Wegen dem Saturn.« »Leg dich doch eine Stunde hin«, sagte sie. »Nein, ich mach mir jetzt einen Kaffee. Magst du auch einen ?« Während das Wasser durchlief, räumte ich den Esstisch ab. Die alten Zeitungen muss ich auch noch durchschauen, dachte ich und schob sie beiseite. Eine rutschte davon. Aufgeschlagen auf einer Seite, auf der wieder über uns berichtet wurde. Ein Foto von einem Haus fiel mir auf, ich sah genauer hin. »Da ist ein Bild vom Koch seinem Haus in Ungarn«, sagte ich mehr zu mir selbst. »Wo?« Sabina beugte sich über meine Schulter. »Na, hübsch. Dort soll’s der Natascha so gefallen haben ?« »Weißt du was ?« , sagte ich. »Das schau ich mir jetzt an. Da fahr ich hin .« Allein im Auto zu sitzen, eine so lange Strecke, war eigenartig. Das Fahren war anders, es fühlte sich an, als bewegte nicht ich mich in dem Golf vorwärts, eher kam die Straße auf mich zu. Wie auf einem Laufband, dachte ich, so komm ich nie nach Sopron. Was willst du überhaupt in Sopron, hörte ich fragen. Schauen, erwiderte ich, einfach nur schauen. Und, was glaubst du zu finden? Wahrscheinlich gar nichts. Aha, dann geht’s dir nicht ums Finden, sondern ums Suchen. Und wenn? Nein, schon in Ordnung, es sollte dir nur klar sein. Was? Dass die Reise das Ziel ist und die Reise ist lang. Ich ließ mir Zeit. Knapp eine Stunde brauchte ich bis Sopron. Es war nichts los an der Grenze. Die Karte lag neben mir am Beifahrersitz, ich bleibe auf der Fünfzehner , dann die Vierunddreißiger bis Sarvar, immer gradaus, Richtung Südosten. Der Himmel war in einem frischen Frühlingsblau lackiert, die Kondensstreifen der Flugzeuge hielten sich lange und hatten ein Muster gezeichnet, gleich große Quadrate, wie mit dem Lineal gezogen. So genau hatte ich die Routen noch nie gesehen. Ich holte die Sonnenbrille aus der Tasche. Simasag, las ich auf einem Ortsschild. Ich sprach es laut aus, für was Ungarisches war es ein sehr kurzes Wort. Irgendwer hat mir einmal erzählt, dass jeder Satz fast um die Hälfte länger ist als im Deutschen. Komische Sprache. Komische Gedanken, sagte mein Ich. Tompaladony. Auch das konnte ich behalten. Ich fuhr langsam genug, um die Schilder zu entziffern. Rechts konnte man nach Chernelhazadamonya abbiegen, oder so ähnlich. Das hätte der Hellsichtige mit dem Aschenhaupt auch zusammengebracht mit seinem Buchstabenbrett. Ich verdrängte ihn gleich wieder. Zsedeny. Rabapaty. Vier Kilometer bis Sarvar. Jetzt kam der schwierige Teil. Sarvar war ein Kurort und eine Kreisstadt, das waren eine Menge Häuser. Wie der Koch damals nach der Italiengeschichte mit der Natascha wieder herfahren wollte, hatte ich mir die Adresse aufschreiben lassen, falls er sie wieder allein dort gelassen hätte. Ich hielt den ersten Passanten auf, zeigte ihm den Zettel, andere lotsten mich weiter. Zwanzig Minuten später stand ich vor dem Haus. Ich warf einen Blick auf das Foto in der Zeitung, die ich mitgenommen hatte. Es war die Koch-Villa. Na ja. Er hat immer viel angegeben, hat die Natascha erzählt, und in Ungarn so getan, als wäre er Krösus. Müssen schon wirklich alles glauben, die Ungarn. Weil, das war eine G’stetten, alles gelb, kein grüner Grashalm, da konnte sich kein Mensch wohlfühlen. Schon gar nicht die Natascha.

Weitere Kostenlose Bücher