Verzwickt chaotisch
sich, um dann mechanisch meine Haare zu tätscheln. Ich überlegte mir, mich zu wehren. Ihm einen Knuff zu verpassen. Ihn zu beißen. Aber ich tat nichts von alldem. Denn mir war wirklich kalt und Leanders Halsbeuge so schön warm.
Und eigentlich war es auch besser, hier oben in einer Burg mit Leander auf einem fremden Bett zu sitzen, während Elena im Bad an sich herumföhnte, als den lieben langen Tag von Mama verfolgt zu werden. Falls ich tatsächlich Heimweh gehabt hatte, war es schon wieder verflogen. Trotzdem ließ ich meine Stirn noch eine Weile an Leanders warmem Hals ruhen, bis ich nicht mehr fröstelte und wissen wollte, was Herr Rübsam unten im Burghof veranstaltete.
»Lass uns runtergehen«, beschloss ich gähnend und befreite mich aus Leanders Umklammerung. »Aber halt dich bloß fern von uns.«
Leander salutierte knapp und folgte mir auf leisen Sohlen. Er hatte mir versprochen, sich rauszuhalten, wenn Herr Rübsam etwas mit uns unternahm. Er würde sogar so weit weg bleiben, dass ich ihn nicht mehr sehen konnte. Nur abends wollte er dabei sein, wenn wir sangen. Falls wir das taten. Aber jetzt war es kurz vor Mittag. Ich wollte mich ungestört bei Sofie entschuldigen. Ein paar Worte mit den Jungs wechseln. Erklären, warum all die seltsamen Dinge in meinem Koffer lagen. Ich hatte jede Menge Lügen vor mir.
Vor allem aber wollte ich für ein paar Stunden einfach nur ein stinknormales Mädchen sein.
Minnesang
»Also gut.« Ich legte die Schere und das Stück Stoff zur Seite und atmete tief durch – wie vorhin neben Leander auf dem Bett. Wahrscheinlich gehörte das jetzt zu meinem Leben dazu. Dass ich ab und zu seufzen musste wie Mama, wenn sie ihre Schnulzen guckte. Oder Extrem schön! mit Leander an ihrer Seite.
Nun saß Sofie neben mir. Wir hatten von Herrn Rübsam und Frau Dangel die unehrenhafte Aufgabe bekommen, uns Kostüme zu basteln. Ritterkostüme. Gewänder mit Schleppe und Umhang für die Mädchen und Rüstungen samt Schild und Helm für die Jungs. Wir befänden uns schließlich auf einer mittelalterlichen Burg. Kelly fand das dieses Mal nicht süß, sondern romantisch. »Oh, this is so romantic!« Sofie war ebenfalls Feuer und Flamme. Serdans und Billys Gesichter aber hatten sich versteinert. Sie hatten sich in eine schattige Ecke verzogen und schnipselten mit Leichenbittermiene an einem silberfarbenen Pappkarton herum, als würden sie erhängt werden, sobald sie fertig waren.
Mir war auch nicht zum Lachen zumute. Im Basteln war ich immer schlecht gewesen. Nähen konnte ich schon gar nicht. Jetzt wäre es doch ganz praktisch gewesen, Mama dabeizuhaben. Sie wäre darin aufgegangen!
Ich hatte das Gefühl, dass Herr Rübsam lieber Grundschullehrer geworden wäre. Das hier war kindisch. Ich fühlte mich blöd dabei. Denn Seppo und Kelly mussten keine Kostüme schneidern. Stattdessen liefen sie mit wachsamen Augen unentwegt im Burghof herum und beaufsichtigten uns. Es fehlten eigentlich nur noch die Peitschen in ihren Händen. Damit sie uns eins überziehen konnten, wenn wir eine Pause machten.
Aber jetzt musste ich eine Pause machen. Es war schwierig genug gewesen, Sofie dazu zu überreden, sich mit mir zusammenzutun. Und zwar nur wir zwei. Seit einer Stunde saßen wir schweigend nebeneinander auf einem bemoosten Mäuerchen. Sofie schnippelte und malte und nähte eifrig vor sich hin, während ich gerade mal ein Stück schweren, weichen Filzstoff zurechtgeschnitten hatte. Es sollte ein Umhang werden und jetzt musste ich Löcher hineinstanzen, um eine Schnur durchziehen zu können. Mit der konnte ich mich dann ja strangulieren, wenn das Gespräch mies laufen würde. Denn alles sah danach aus. Sofie stach so verbissen die Nadel in den Stoff, der auf ihren Knien lag, dass ich vorsichtshalber ein Stückchen von ihr wegrückte. Schließlich seufzte sie genauso schwer wie ich eben und gönnte mir einen knappen, verbiesterten Blick.
»Wegen vorhin, mit dem Zimmer«, begann ich mit trockenem Mund. Ich nahm einen Schluck Apfelschorle und unterdrückte ein Rülpsen. Sofie zuliebe. Und weil Kelly schon wieder um uns herumschlich. »Sorry, dass das so blöd gelaufen ist. Ist nicht so, dass ich nicht mit dir in ein Zimmer wollte.«
»Ach ja?« Sofie blinzelte, stach aber weiter auf ihren Stoff ein.
»Ja. Ich wäre gerne mit dir in ein Zimmer gegangen.« So weit, so gut. Ich war noch bei der Wahrheit. Nun aber musste ich in die Welt der Notlügen aufbrechen. »Nur – meine Mutter hat mir in den
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