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Verzwickt chaotisch

Verzwickt chaotisch

Titel: Verzwickt chaotisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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zu. »Darf ich mir die CD mal ausleihen?«, fragte er vertrauensvoll.
    »Können Sie. Den Epilierer übrigens auch. Mit ’nem schönen Gruß von meiner Mutter. Mir gehört der nämlich nicht. Und die Unterhosen sind ebenfalls von ihr. Ein Geschenk für Sie.« Herr Rübsam zuckte erschrocken zurück. Ich drehte mich ein zweites Mal zu der kichernden Meute hinter mir um.
    »Hihihihihi«, äffte ich sie nach. »Könnt ihr nix anderes?« Augenblicklich war es still. Nur Sofie schluchzte leise auf. Serdan grinste. Er grinste! Lachen konnte er anscheinend noch.
    Dass Elenas und mein Zimmer ein eigenes Bad hatte und total urig aussah – wie die gesamte Jugendherberge –, konnte mich kaum aufheitern. Innerhalb weniger Minuten hatte Elena ein heilloses Durcheinander veranstaltet. Überall flogen ihre Klamotten und tausend Kosmetikbeutel herum. Dann schloss sie sich im Bad ein, obwohl Herr Rübsam uns gebeten hatte, nach dem Auspacken hinunter in den Burghof zu kommen. Ich hörte, wie Wasser zu laufen begann. Wahrscheinlich rauchte sie heimlich.
    Ich öffnete rasch die Tür, damit Leander hereinschlüpfen konnte. Mit einem eleganten Sprung nahm er die obere Etage des Hochbetts in Besitz. Elena hatte sie mir aufgebrummt. Ich würde doch so gerne klettern, hatte sie abschätzig gemeint und mich viel zu kalt angelächelt.
    Ich zögerte einen Moment, bevor ich mich Leander anschloss. Doch als ich oben war, atmete ich tief aus. Dieses Bett war meine Insel. Alles andere hatte Elena in Beschlag genommen. Nur hier oben würde sie mich in Ruhe lassen. Mich und Leander. Wo sollte er nur schlafen? Das Zimmer war eng. Es gab außer den Betten nur noch einen Sessel. Auf dem Boden durfte er nicht pennen. Das war zu riskant. Elena konnte ihn bemerken, wenn sie nachts durchs Zimmer schlich.
    Ich fühlte mich plötzlich einsam und verloren. Ich hatte nicht einmal mehr Hunger. Ich dachte an mein Zimmer im Hemshof, der mir so weit weg erschien wie der Mond – ja, auch mein Zimmer war nicht groß. Aber es hingen meine Poster an der Wand, neben dem Schreibtisch lag Mogwai in seinem Körbchen und döste, und wenn ich aus dem Fenster schaute, konnte ich rüber zu den Lombardis gucken.
    Ich wollte nach Hause. Sofort.
    Ich setzte mich neben Leander, der mich stumm beobachtete, an die Wand, verschränkte die Arme auf meinen Knien und drückte meine Augen in meine rechte Armbeuge. Nicht heulen. Bloß nicht heulen. Ich heulte doch auch sonst nie.
    »Hey.« Leander stieß mich mit seinem Ellenbogen an. »Ich glaub, davon haben sie in der Schulung erzählt. Genau. Das ist – das ist … Moment.« Er grübelte eine Weile. »Jetzt weiß ich wieder, wie es heißt. Heimweh. Du hast Heimweh.«
    »Quatsch. Ich hab kein Heimweh.«
    »Doch. Sicher. Muss so sein. Ist gut für euch. Es zu überwinden gehört zum Erwachsenwerden«, zitierte er mit geschwellter Brust. »Andere Jugendliche zeigen in diesen Situationen Mitgefühl. Dadurch lernt der Klient, dass er auch ohne seine Eltern und sein gewohntes Umfeld zurechtkommt. – Was ist noch mal Mitgefühl, Luzie? Gibt es auch Ohnegefühl?«
    »Ja, gibt es. Du bist das beste Beispiel für Ohnegefühl. Du bist ein einziges Ohnegefühl.« Ich rückte ein Stück von ihm ab. Was hatte ich vorgehabt? Ihm menschliche Gefühle beizubringen? Er wusste nicht einmal, was Mitgefühl war!
    »Erklär es mir, Luzie. Bitte«, drängelte er. »Noch hört sie uns nicht.« Er deutete auf das Bad, wo nun ein Föhn summte.
    »Wenn ich traurig bin, musst du auch traurig sein. Denn dann …« Ich suchte nach Worten. »Dann weißt du, was ich fühle, und kannst mir besser helfen.«
    »Das ist dumm«, entgegnete Leander. »Sehr dumm sogar. Traurige Menschen weinen. Sie sitzen still da, bewegen sich nicht, schniefen und rotzen vor sich hin, jammern ununterbrochen. Wie sollen sie so jemandem helfen?«
    »Ich sag ja nicht, dass der andere auch weinen muss. Er muss den Traurigen verstehen. Und das kann er nur, wenn er weiß, wie sich das anfühlt. Es darf ihn nicht kaltlassen, verstehst du?«
    Leander grinste schwach. »Lässt mich nicht kalt. Meine Haut ist immer noch warm wie ein Strand in der Karibik.«
    »Oh Mann«, murrte ich. »Du kapierst ja auch wirklich gar nichts …«
    »Das war ein Witz, chérie. In Menschenkunde hatte ich die besten Zensuren. Jedenfalls hab ich gelernt, dass Menschen etwas Bestimmtes machen, um andere zu trösten. Also das hier. Ähm. Ja. Exactement.«
    Er packte mich an den Schultern und zog mich mit Schwung zu

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