Viel Laerm um Stratfield
hatten.
„Kommst du, Chloe?"
Beim Klang der Stimme ihres Onkels blickte sie sich um. Sie beide waren nun alleine im Zimmer, und Chloe konnte hören, wie die Kutsche vor dem Haus vorfuhr.
„Ja. Ich bin gleich da."
„Ist vor dem Fenster irgendetwas Interessantes?", fragte er ruhig.
Sie rang sich zu einem matten Lächeln durch. „Es sieht nicht so aus. Hat Tante Gwendolyn ihren Schuh gefunden?"
Er runzelte besorgt die Stirn. „Du hast heute Morgen wirklich den Kopf in den Wolken. Pamela hat uns gerade eben gesagt, dass der Schuh auf der Treppe ist. Hast du es nicht gehört?"
Mit abgewendetem Blick ging sie an ihm vorbei. Ihr war bewusst, dass er sie besser kannte als jeder andere im Haus. Nach der vergangenen Nacht und mit den Gedanken bei Dominic musste sie mehr als nur ein wenig geistesabwesend wirken. „Komm. Lass uns unseren Seelen zuliebe die Predigt des Pastors ertragen."
Er berührte sie sanft an der Schulter, als sie an ihm vorbeiging. „Chloe, meine Liebe, wenn du je Hilfe benötigst, ich bin immer für dich da."
Onkel Humphrey, verwickelt in ein Netz aus Falschheit und Mord? Chloe wandte sich ihm lächelnd zu, voller Bedauern, dass ihr Geheimnis wie eine Mauer zwischen ihnen stand. „Danke. Du warst ohnehin schon freundlicher zu mir, als ich es je verdient habe."
Die Gemeinde von St. Luke's Church saß wie in Trance da. Offensichtlich hatten die Leute sich noch nicht von dem aufregenden Maskenball des vergangenen Abends erholt. Natürlich war es nichts Ungewöhnliches, während einer Predigt ein kleines Nickerchen zu machen. An jedem beliebigen Sonntag wurde das wüste Hämmern des Pastors auf seine Mahagonikanzel von sündigen Schnarchgeräuschen aus den eichenen Kirchenbänken begleitet.
Chloe fand es unmöglich, sich überhaupt auf Pastor Grimsby mit seiner dünnen, spitzen Nase und seinen Schnallenschuhen zu konzentrieren, obwohl sie die Vermutung hatte, dass seine Predigt über die Tugend an sie gerichtet war.
Nun, dafür war es jetzt zu spät, dachte sie ohne Bedauern.
Sie spielte mit einem der Onyxknöpfe an ihrem Handschuh herum, denn die Zeit verging im Schneckentempo. Irgendwo im hinteren Teil der Kirche fiel ein kleiner Junge beim Streit mit seiner Schwester von der Bank und wurde von seiner Mutter lautstark dafür geohrfeigt. Himmel, was war, wenn sie ein Kind von Dominic empfangen hatte? Wenn so etwas passierte, würden ihre Brüder ihn persönlich zum Altar eskortieren -ein weiterer Skandal im Hause Boscastle, Grayson würde ihr den Hals umdrehen. Allein der Gedanke, dass Dominic sich vermutlich nicht wehren würde, beruhigte sie ein wenig.
„Stimmt etwas nicht?", flüsterte Pamela, als sie gemeinsam zum Gebet niederknieten.
Chloe blickte auf. Ihr war eben erst bewusst geworden, dass weder Lord Wolverton noch Sir Edgar dem überlangen Gottesdienst beiwohnten, aber das hätte sie wohl nicht überraschen sollen. „Warum fragst du?"
„Du seufzt und zappelst die ganze Zeit herum."
Chloe senkte den Blick. Es stimmte wirklich etwas nicht mit ihr. Hier saß sie nun auf den Knien in einer ruhigen, mit Efeu bewachsenen Pfarrkirche, den Kopf fromm gebeugt, und betete für die Seele eines Mannes, der sie vor weniger als vierundzwanzig Stunden in einer Abstellkammer auf dem Boden verführt hatte.
Sie hätte um Vergebung bitten sollen. Oder darum, dass ihre Familie nie herausfand, was sie getan hatte.
Aber nein. Sie betete, dass Dominic nicht losging und sich wirklich töten ließ, sondern weiterlebte, um sie erneut zu verführen. Und ihr eine anständige Zukunft anzubieten.
Er hatte doch gesagt, dass er zu ihr zurückkommen würde, nicht wahr?
Sie setzte sich auf den Knien um. Vor lauter Sorge - und weil sie letzte Nacht ja kaum geschlafen hatte - war ihr ein wenig kalt. Wie lange konnte Pastor Grimsby noch mit dem Gebet fortfahren? Er musste inzwischen jede Sünde mindestens zweimal erwähnt haben.
„Chloe." Pamela stupste sie, als das Gebet endlich zu Ende ging und sie wieder ihre Plätze einnahmen. „Soll ich dir etwas sagen?", flüsterte sie.
Ja. Sie wollte wissen, dass Dominic auf sie wartete, wenn sie nach Hause kamen, und dass Sir Edgar für all das Böse bezahlen würde, das er angerichtet hatte. Allerdings musste sie befürchten, dass ihre Cousine ihr wohl kaum befriedigende Auskunft geben konnte.
„Was?", flüsterte sie zurück.
„Ich habe mir dein Korsett ausgeliehen."
Chloe setzte sich ein bisschen gerader hin und betrachtete ihre Cousine aus den
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