Viel zu lange her
ihr helles Haar zu feinen Zöpfen geflochten und zu einem Knoten nach hinten gezogen. Feine spiralförmige Löckchen umgaben ihr Gesicht und sorgten für einen weniger strengen Effekt. Zu ihrer Überraschung sah sie nach einer Woche fast schlafloser Nächte überraschend gut aus - zwar nicht gerade strahlend, aber wenigstens romantisch.
„Du wirkst sehr elegant”, stellte Alice fest.
Tessa lächelte ihrer Freundin, deren Haar zu einem ähnlich altmodischen Knoten gebunden war, zu. „Und du siehst hübsch aus - sehr züchtig, wie es sich für die Brautjungfer gehört.”
„Ich komme mir vor, als sollte ich in einem historischen Film mitspielen”, erwiderte Alice lachend.
Noch waren sie im Unterkleid - weiß für Tessa, kaffeebraune Seide für Alice. Fertig geschminkt, wollten sie gleich die Kleider für die Fotos bei der Zeremonie anziehen.
„Ich mag mein Kleid als Brautjungfer.” Alice betrachtete das schmal geschnittene Kleid aus kaffeebrauner Seide, das an einer Schranktür hing. „Aber dafür könnte ich sterben”, fügte sie hinzu und deutete auf Tessas schönes Hochzeitskleid, das auf einem handbestickten Bügel hing.
„Ich liebe diese himmlische Schleppe, wie sie hinter dir zu schweben scheint … und diese entzückenden Rosenknopsen. Dieses Kleid erfüllt den Traum einer jeden Braut.”
„Alice, beruhige dich.” Tessa lachte und achtete nicht auf ihren nervösen Magen. „Du hörst dich an, als wärst du noch auf Sendung.”
„Wirklich?” fragte Alice betroffen. „Das ist eine schlechte Gewohnheit. So ergeht es mir immer, wenn ich nervös bin.”
„Nervös?” fragte Tessa überrascht. „Warum solltest du denn nervös sein? Ich bin diejenige, die heiratet.”
„Genau”, erwiderte Alice und warf ihrer Freundin unter getuschten Wimpern hervor einen rätselhaften Blick zu.
„Und?” drängte Tessa, während sich ihr Magen noch stärker verkrampfte.
„Lieber Himmel, Tessa, ich weiß gar nicht, wie ich es sagen soll. Ich versuche es schon die ganze Zeit. Ich bin deinetwegen nervös.”
Alices Miene verfinsterte sich, ihr Blick wurde ernst, und das Lächeln verschwand von ihren Lippen.
Bei diesem Anblick setzte Tessa sich auf das Bett ihrer Eltern und strich unruhig über die Decke. Den ganzen Vormittag über hatte sie sich bemerkenswert gehalten. Und jetzt hatte sie schon gedacht, diese ganze Sache durchstehe n zu können.
„Vielleicht solltest du lieber gar nichts sagen”, riet sie Alice.
Ihre Freundin betrachtete ihre Füße, an denen sie noch keine Schuhe trug, spielte mit den Zehen im dicken weißen Teppich und blickte dann zu Tessa hoch.
„Darf ich den Namen Isaac erwähnen?” fragte sie.
Tessa begann zu zittern. „Es wäre mir lieber, wenn du darauf verzichten würdest”, erwiderte sie.
Alice setzte sich neben sie. „Solange du Tessa Morrow bist und es noch nicht zu spät bist, musst du mit dir selbst ehrlich sein. Der Zeitpunkt ist denkbar ungünstig, das weiß ich, aber hast du dir das wirklich gut überlegt? Hast du in Betracht gezogen, dass du vielleicht einen schrecklichen Fehler machst?”
„Einen Fehler?” wiederholte Tessa kraftlos.
„Ja! Fehler, Fehleinschätzung, Irrtum. Nenne es, wie du willst, meinetwegen auch Katastrophe des Jahrhunderts!”
„Bitte, Alice”, wehrte Tessa ab. „Nicht so dramatisch!”
„Ach, tut mir Leid!” Alice umarmte sie. „Du zitterst”, stellte sie fest und drückte sie an sich.
„Es ist sehr aufdringlich von mir, aber ich muss dich etwas fragen. Bist du absolut sicher, dass du Paul heiraten willst?”
Tessa schluckte heftig. Hätte sie doch bloß voller Überzeugung bestätigen können, dass sie Paul heiraten wolle, weil sie ihn liebe.
„Das ist eine reichlich alberne Frage”, flüsterte sie. „Noch dazu ausgerechnet jetzt.”
„Ich weiß.” Alice drückte behutsam ihre Hand. „Ich hätte normalerweise auch nicht damit angefangen, aber ich bin deine beste Freundin. Ich kenne dich seit der dritten Klasse. Wir hatten nie Geheimnisse voreinander, und plötzlich packt mich dieses schreckliche Gefühl, dass du dein ganzes Leben verpfuschst.”
Tessa sah ihre Freundin ängstlich an.
„Du solltest heute Isaac und nicht Paul heiraten”, behauptete Alice.
„Nein … nein, das kann ich nicht. Du verstehst das nicht.”
„Was verstehe ich nicht?” fragte Alice sanft. „Das musst du mir erklären, Tess.”
Tessa schloss die Augen, um die Tränen zurückzuhalten und klarer denken zu können. Sie hatte
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