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Viel zu lange her

Viel zu lange her

Titel: Viel zu lange her Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Hannay
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gedacht, im Lauf der vergangenen Woche bereits sämtliche erdenklichen Qualen erlitten zu haben.
    Jetzt befanden sich ihre Gefühle mehr denn je in Aufruhr. Und sie fürchtete, wenn sie über dieses Problem sprach, könnte die Wahrheit an die Oberfläche kommen - eine Wahrheit, der sie sich nicht zu stellen wagte. Und doch musste sie mit Alice darüber sprechen.
    „Es stimmt”, begann sie zögernd, „dass ich noch starke Gefühle für Isaac habe. Doch das ist nur rein körperlich, und er will mich keinesfalls heiraten.”
    Alice stieß einen schrillen Pfiff und einen wenig damenhaften Fluch aus. „Tessa, willst du hören, wie eine erfahrene Journalistin ganz neutral diese Situation sieht?”
    „Ich …ja.”
    „Alle - besonders die unmittelbar Betroffenen - übersehen etwas. Du und Isaac, ihr gehört zusammen wie … wie Bogart und Bergman in ,Casablanca’ oder Cathy und Heathcliff in
    ,Wuthering Heights’. Ich habe sehr schnell gemerkt, dass ich bei Isaac nicht die geringsten Chancen habe. Und glaub mir, ich hätte ihn mir geschnappt, hätte ich mir auch nur einen Funken Hoffnung gemacht.”
    „Alice, wie kannst du nur glauben, dass Isaac mich liebt? Er hat mich vor neun Jahren verlassen, ohne mir eine Erklärung zu geben, und er hat sich nie bei mir gemeldet. Er selbst hat mir versichert, dass es nur einen einzigen Grund für seine Rückkehr gibt. Er wollte allen gefühlsmäßigen Ballast abwerfen, damit wir beide mit unserem Leben weitermachen können.”
    „Das glaube ich nicht einen einzigen Moment”, erwiderte Alice. „Doch selbst wenn es stimmen sollte - meinst du wirklich, dass du dich ersatzweise an Paul binden solltest?”
    „Das ist allerdings schwierig.” Tessa seufzte. Sie konnte nicht so tun, als würde sie Paul lieben.
    „Ich will Paul nicht verletzen.”
    „Du willst Paul heute nicht verletzen”, hielt Alice ihr vor. „Aber was ist nächste Woche? Was ist im nächsten Jahr, in zwanzig Jahren? Wenn du ihn nicht liebst und er mit dir lebt und irgendwann herausfindet, dass du ihm nur etwas vorgespielt hast -wird ihn das dann nicht viel, viel mehr verletzen?”
    „Vielleicht”, flüsterte Tessa und brach in Tränen aus, Tränen, die bestätigten, wie Recht Alice hatte. Sie weinte nicht sanft und leise, so dass ihr Make-up nicht verschmiert wurde, sondern schluchzte verzweifelt.
    „Armes Kind”, flüsterte Alice und streichelte ihre zuckenden Schultern. Und es hörte sich ganz so an, als hätte sie Angst vor der Verzweiflung, die sie freigesetzt hatte.
    Wie aus weiter Ferne hörte Tessa die Stimme ihres Vaters.
    „Ich wollte nur sehen, wie ihr zwei…” Er verstummte.
    Offenbar wartete er auf eine Erklärung, aber Tessa konnte nicht sprechen.
    „Tessa, Schatz?” Er kam näher.
    Als sie seine Hand an der Wange fühlte, schluchzte sie: „O Dad, bitte, hilf mir! Ich … ich weiß nicht, was ich machen soll!”
    Er setzte sich neben sie und zog sie behutsam an sich. Als sie die Arme ihres Vaters und die vertraute Wärme seiner Brust fühlte, brach sie erneut in heftiges Schluchzen aus.
    „Es geht um Isaac, nicht wahr?” fragte er Alice.
    Ihre Freundin brauchte nicht zu antworten. Tessa nickte und hörte den tiefen Seufzer ihres Vaters.
    „Du liebst ihn noch immer, Schatz?”
    Tessa hob den Kopf und konnte durch die Tränen hindurch kaum das Gesicht ihres Vaters erkennen. „Ja.” Ihre Stimme klang zittrig. „Ja, Dad, ich habe nie aufgehört, ihn zu lieben.”
    Es tat ihr gut, endlich diese Worte auszusprechen.
    „Natürlich habe ich das die ganze Zeit vermutet, aber deine Mutter …” Er presste die Lippen aufeinander.
    „Ich weiß, dass Mum mit uns beiden nie einverstanden war”, flüsterte sie.
    Ihr Vater antwortete nicht, hielt sie im Arm und streichelte nachdenklich ihre Schulter.
    Sie drückte die Hand ihres Vaters. „Dad, ich kann nicht… es tut mir Leid, aber ich kann Paul nicht heiraten.”
    Er nickte bedächtig.
    Jetzt war es heraus, dass sie Paul nicht heiraten konnte. Sie fühlte sich stärker und stand auf.
    „Ich muss es Mum sagen.”
    „Warte!” rief Alice. „Brauchst du Schützenhilfe?”
    „Ich … ich schaffe das schon allein.” Dann kamen ihr doch Bedenken. „Vielleicht solltest du mitkommen, Dad. Mum wird dich brauchen.”
    Sie zog ihren Vater vom Bett hoch und lief in Strümpfen und Unterrock aus dem Zimmer.
    Ihre Mutter war in der Küche und rückte soeben Isaacs Schleife zurecht.
    „Tessa! Um Himmels willen, du bist noch nicht angezogen! Du

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