Viele Mütter heißen Anita
Antwort, Moratalla?«
Der Riese blickte kurz auf und sah in die Augen seines Kollegen. Dann schüttelte er den Kopf und blickte wieder auf den Tisch.
»Wie dem auch sei, Dalias – ich danke Ihnen. Draußen auf dem Flur benimmt sich Doktor Osura wie ein Irrsinniger. Ich glaube, Sie sind der einzige, der innerlich zu mir hält. Das ist schön zu wissen … auch für später …«
»Später?« Dalias erhob sich. Fast herausfordernd stand er vor Moratalla. »Was meinen Sie damit: für später?«
Moratalla zeichnete mit dem Zeigefinger der rechten Hand die Konturen eines Gegenstandes auf die Tischdecke. Erstaunt verfolgte Dalias die Linien und wurde blaß. Moratalla zeichnete die Umrisse einer Garotte.
»Kennen Sie Señor Murcia Sevilla?«
Dalias schüttelte erstaunt den Kopf. »Nein.«
»Murcia Sevilla ist der berühmteste Henker Spaniens. Er ist Spezialist für die Hinrichtung durch die Garotte. Man sagt ihm nach, daß eine Hinrichtung bei ihm nicht länger dauert als acht bis zehn Sekunden! Das ist immerhin tröstlich, nicht wahr, Dalias?«
Der dicke Professor wandte sich ab und setzte sich wieder an das Bett Anitas, die noch immer ohne Bewußtsein und leise röchelnd, wie ein verlorenes Bündel Knochen und Haut, zwischen den weißen Laken lag.
»Sie haben eine satanische Art, über solche Dinge zu reden, Moratalla«, sagte er mit belegter Stimme. »Franco wird wegen dieses tragischen Falles nicht Spaniens größten Chirurgen zum Tode verurteilen lassen. Das glaube ich fest.«
Moratalla winkte ab. »Dalias –«, seine Stimme war rauh – »man soll an alles glauben … nur nicht an den Menschen …«
Die Nacht war lang, der Morgen kam fahl aus dem Osten herauf.
Gegen fünf Uhr morgens sah Dr. Tolax, der nicht schlafen konnte, ins Zimmer. Er sah Dalias schlafend auf dem Sofa, während Moratalla und Dr. Albanez am Bett Anitas saßen.
Das Herz flatterte.
Über das eingefallene, runzelige Gesicht ging ein Zucken. Die dünnen Lider über den Augen zitterten, der Mund war offen und zeigte die wenigen dunklen Zähne. Dick, geschwollen lag die Zunge am Gaumen. Es sah furchtbar aus.
Dr. Albanez zog eine neue Spritze auf. Strophantin.
Moratalla hatte den Verband von der Operationswunde genommen. Er blickte nicht auf, als Dr. Tolax eintrat, sondern starrte auf den großen, rechtwinkeligen Schnitt. Mechanisch nahm er die Spritze von Dr. Albanez und injizierte. Dabei schielte er kurz zu Professor Dalias hinüber. Dieser lag auf dem Rücken und schnarchte leise.
»Lassen Sie ihn schlafen«, sagte er leise zu Dr. Tolax, der sich über das Bettende beugte. »Und rufen Sie die Verwandten und die anderen Herren.«
»Jawohl, Herr Professor.«
Es blieb auch still im Zimmer, als sie alle um das Bett standen. Pedro hatte Elvira umfaßt und sah auf das Gesicht der Mutter. Er erkannte sie kaum wieder … dieses kleine, schmale, spitze Gesicht, das aussah wie das einer Maus, sollte seine Mutter sein? Er krallte seine Finger in die Arme Elviras und blieb stumm. Dr. Osura stand am Kopf des Bettes. Als Arzt sah er die Hoffnungslosigkeit, und eine Welle von Selbstvorwürfen überspülte sein Denken. Er beobachtete Moratalla, wie er sich um Anita bemühte, und er empfand eine Dumpfheit in sich, die er bisher nie gekannt hatte, auch nicht, wenn ein Mensch unter seinen Händen starb, wie es manchmal vorkam, wenn seine Bauern ihn erst riefen, wenn alle Bemühungen vergeblich sein mußten.
Von draußen drängte der Tag durch die zugezogenen Vorhänge ins Zimmer. Die Sonne war grell und stark. Es mußte ein heißer Tag werden.
Anita lag röchelnd in den Kissen. Die Strophantinspritzen blieben ohne Wirkung. Ihre Brust hob sich in verzweifelten Krämpfen, das Gesicht wurde bläulich, als bekäme sie keinen Atem mehr. Der dicke, kleine Körper bäumte sich hoch – es sah aus, als wolle sie aus dem Bett springen. Elvira wandte sich ab und drückte ihr Gesicht an Pedros Schulter. »Ich kann es nicht sehen«, stammelte sie.
»Sie erstickt ja …«, stöhnte Pedro. »Mein Gott, helft ihr doch! Tut doch etwas!« Er umklammerte das Eisenbett und bebte. »Warum muß sie denn so leiden? Gebt ihr doch eine Spritze …«
Moratalla schüttelte den Kopf. »Das wäre sinnlos. Die Krämpfe lösen sich davon nicht. Diese Luftnot kommt von der mangelnden Arbeit des Herzens.«
Dr. Osura biß sich auf die Zähne. »Anita hatte ein völlig gesundes Herz«, zischte er. »Sie haben es ihr genommen, Moratalla!«
Dr. Tolax warf einen wilden Blick auf
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