Viele Mütter heißen Anita
entgegen und drückten ihn ins Zimmer.
»Was ist?« rief Tortosa ungeduldig. »Was sagen denn die Ärzte? Sie haben dir doch bestimmt mehr gesagt als uns, gestehe es doch. Los, so sprich doch! Ist es wirklich so schlimm? Muß er sterben?«
»Mein Gott … mein Gott …«, Tortosa rang die Hände. Fredo Campillo warf seine Zigarre fort und faßte Dr. Osura an den Rockaufschlägen.
»Du bist doch ein Arzt«, schrie er. »Mensch, was nützt euch euer langes Studium, wenn euch ein kleines Geschwür aus den Schuhen kippt? Ihr seid Stümper!« brüllte er plötzlich.
Dr. Osura schüttelt den Freund ab und setzte sich schwer in einen der Sessel. »Wir müssen sofort nach Madrid«, sagte er laut.
»Nach Madrid? Warum denn das?«
»Zu Professor Moratalla. Wenn ihm einer helfen kann, ist es Moratalla!«
»Dann laß uns sofort fahren!« rief Tortosa erregt. »Jede Stunde ist kostbar. Ich hole sofort Juan!«
Er wollte hinauslaufen, aber Dr. Osura hielt ihn am Rock fest.
»Juan ist noch zu schwach. Es kommt auf zwei oder drei Tage nicht mehr an. Wenn Moratalla einen Weg weiß, ist er gerettet, daran glaube ich wie an das Amen in der Kirche!«
»Du lästerst«, sagte Campillo ernst.
»Nein!« schrie Dr. Osura. »Ich will mich selbst betäuben …!«
Tortosa und Campillo gaben dem Erregten ein Glas des scharfen Alkohols und betrachteten die Röntgenplatten, die Dr. Osura sich ausgeliehen hatte für Prof. Moratalla. Kopfschüttelnd sah Campillo auf das meist dunkle Bild, auf diese Platte aus Zellon, die das Innere der Brust Juans auf sich trug.
»Dieser dunkle Punkt ist es?« fragte Campillo leise.
»Ja. So groß wie eine Erbse. Das ist alles.«
»Und das ist der Tod?«
»Ja.«
»Und vor solch einem Punkt seid ihr machtlos?«
»Ja.«
Campillo warf das Röntgenbild auf den Tisch und steckte die Hände in die Tasche. »Nimm es mir nicht übel«, sagte er hart. »Aber mit dem heutigen Tage ist mein Vertrauen zu den Ärzten restlos erschüttert.«
Tortosa sah auf die dunkle Zellonplatte und biß die Lippen aufeinander. »Ich habe euch etwas vorenthalten«, sagte er dumpf und schuldbewußt. »Ich habe von Juans Können dem Caudillo berichtet.«
»Auch das noch!« schrie Dr. Osura.
»Und Franco will Juan in zwei Monaten im Escorial empfangen.«
Fredo Campillo war blaß geworden. »Wie konntest du das tun?« rief er außer sich. »Was soll ich dem Caudillo jetzt sagen?«
»Die Wahrheit!« stöhnte Tortosa.
»Unmöglich! Ein Genie, das mit zwanzig Jahren sterben soll?! Man wird es nicht begreifen! Es ist auch schwer zu begreifen.« Fredo Campillo rannte in dem Zimmer hin und her und schlug sich mit beiden Fäusten gegen die Brust. »Ich habe das nicht gewollt«, rief er, »ich wollte Juan langsam aufbauen, ich wollte ihm Zeit lassen, ihn schonen, damit er wachsen konnte …«
»Was nutzt es alles, Fredo?« Dr. Osuras Stimme war belegt. »Er hat ja keine Zeit mehr. Noch ein Jahr! Vielleicht noch zwei. Dann ist alles vorbei.«
»Ich kann es nicht glauben.« Campillo ergriff wieder die Röntgenplatte und sah auf den dunklen Schatten im Herzen Juans. »So ein dummer Punkt, so ein lächerlicher Fleck soll schuld sein? Ich kann es nicht begreifen.«
»Aber wir müssen es, Fredo.« Dr. Osura erhob sich. »Wir fahren mit Juan in zwei Tagen nach Madrid. Wir alle. Und wir werden ihn von Moratalla untersuchen lassen. Erst dann wollen wir weitersehen, was wird.«
»Auf jeden Fall behalte ich Juan vier Wochen bei mir«, sagte Campillo. »Er soll Madrid kennenlernen, und er soll in der Stille meines Landhauses zeichnen, soviel er Lust hat. Vielleicht schenkt er Spanien damit einige Werke, die ihn überdauern, solange der Mensch die Kunst liebt.«
Ramirez Tortosa schüttelte den Kopf. Er lehnte sich gegen die Fensterbank und fühlte nicht, wie die Sonne durch das Glas seinen Nacken verbrannte.
»Wäre es nicht besser, wir lassen ihn zurück in seine Berge gehen?« fragte er langsam. »Wir können der alten Mutter nicht mehr ihren Sohn entziehen. Sie allein hat ein Recht, dieses letzte Jahr mit ihm zu leben.«
Campillo fuhr herum. Seine Augen waren starr vor Erregung.
»Juan gehört nicht einer alten Frau – er gehört der Welt!« schrie er. »Soll er wieder der Bauernjunge werden, der Kühe hütet und dabei Kaninchen zeichnet? Soll er wieder von seinem Bruder Pedro geohrfeigt werden, weil er zu ›faul‹ ist? Soll er dieses Leben weiterleben, das ihn niederdrückte und krank machte? Es soll dieses eine Jahr erleben wie
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