Viele Mütter heißen Anita
um dort die von den Pyrenäen beeinflußte Kunst kennenzulernen. Das wird vielleicht vier Wochen dauern. Nach Ablauf dieser Zeit wird er – falls keine neuen Anfälle auftreten – einem Facharztkonsortium vorgestellt, das entscheiden soll, ob die Studienreise nach dem Südosten und vielleicht hinüber nach Marokko und Tanger zweckmäßig und möglich ist.«
»Hm.« Der Professor sah seinen Oberarzt an. Dieser nickte zustimmend. »Ich weiß nicht, Doktor Osura, ob dies geht. Wenn meine Berechnungen und meine Kenntnis von der Physiologie der Geschwüre stimmen, dann könnte innerhalb von sechs bis acht Wochen eine Entleerung des Herzbeutels von den Geschwürsekreten höchste Zeit sein.«
»Operativ?«
»Nur operativ, Herr Kollege! Wir haben keine Möglichkeit. Wir können doch keine Hohlnadel ins Herz stoßen wie etwa bei einer Punktierung des Rückenmarks oder des Rippenfells.«
»Natürlich nicht.« Dr. Osura schüttelte den Kopf. »Aber wenn man schon den Brustkorb öffnet, sollte man auch den Herd angehen.«
»Sehr mutig gesprochen – aber wie?« Der Professor hob die Schultern, und sein Gesicht war etwas zerknittert. »Ich sagte schon – wir haben keine Möglichkeit!«
Dr. Osura senkte den Kopf. Er dachte nach. Namen zogen durch sein Gehirn – Sauerbruch in Berlin, Frey in München, O'Neill in New York, Prof. Dr. J. Stamler in Chikago, von Mikolicz-Radecki in Kiel – konnte keiner von ihnen helfen? Sollte er mit Juan durch die Welt reisen, von Arzt zu Arzt, von Genie zu Genie, um ein anderes Genie retten zu lassen? Hatte es überhaupt noch Zweck? Gab es denn noch eine Rettung?
Plötzlich zuckte Dr. Osura auf und sah den etwas erschrockenen Professor an. »Was halten Sie von unserem berühmten Kollegen in Madrid?«
»Professor Doktor Carlos Moratalla?«
»Ja.«
»Auch er kann nicht mehr helfen.« Der Oberarzt brannte sich mit nervösen Fingern eine Zigarette an. »Die Chirurgie leistet vieles, fast Unglaubliches, aber sie hat Grenzen.«
»Moratalla soll sich mit gewagten Herzexperimenten beschäftigen!« rief Dr. Osura. Es war wie ein Klammern an den letzten Balken, der in stürmischer See treibt, wie das Aufbäumen eines Ertrinkenden. Und merkwürdig, dieser Gedanke beruhigte auch zugleich. »Ich werde ihm Juan vorstellen.«
»Versuchen Sie es, Herr Kollege.« Der Professor lächelte skeptisch. »Auch ein Moratalla kann keinen Herzbeutel verkleinern!«
»Aber vielleicht kann er ein Herzbeutelgewebe transplantieren und Juan so retten?«
»Das wäre Wahnsinn!« Der Oberarzt rauchte in hastigen Zügen und blies den Qualm gegen die Decke des kleinen Raumes. »Man kann nur gestielte Hautlappen verpflanzen, so wie man es bei den Gesichtsplastiken macht! Und selbst da ist die Gefahr des Abfaulens vorhanden! Es ist aber ganz unmöglich, Organe zu transplantieren! Man hat zwar schon ein Stück des Harnleiters als einen künstlichen Venenabschnitt verpflanzt, aber das war schon eine Sensation. Von irgendwelchen Transplantationen innerhalb des Herzens zu träumen, ist eine Utopie, deren Unausführbarkeit in der Eigengesetzlichkeit der Organe liegt.«
»Und trotzdem will ich es versuchen.« Dr. Osura klammerte sich an diesen Ausweg mit der Verbissenheit eines Menschen, der nichts mehr zu verlieren hat. »Vielleicht weiß Moratalla einen Weg.«
Der Professor nickte. »Tun Sie es, Herr Kollege. Lassen Sie nichts unversucht. Aber – wenn Moratalla einen Weg weiß – bitte, benachrichtigen Sie uns sofort telegraphisch. Bei dieser Operation – oder was er unternehmen wird – möchte ich gern zugegen sein.«
Sie gaben sich noch einmal die Hand – diesmal endgültig und abschiednehmend.
»Ich telegraphiere«, sagte Dr. Osura fest. »Und ich weiß, Herr Kollege, daß ich es mit einem freudigen Gefühl, dem Gefühl der Erleichterung, tun kann …«
Kurz darauf fuhr Dr. Osura wieder zur Akademie zurück und parkte seinen Wagen hinter dem Gebäude, das er in einem weiten Bogen erreichte, da man vom Fenster Juans aus den Wagen genau erkennen konnte und Juan bestimmt seine Zeit damit ausfüllte, am Fenster zu sitzen und hinauszuschauen auf den Tajo und das bewegte Leben auf den beiden Brücken.
Tortosa und Campillo saßen noch immer mit traurigen Mienen um den Tisch und hatten eine Flasche Kognak geleert. Der plötzliche Sturz des jungen Ikarus Juan war so gewaltig, daß sie ratlos waren und stumm ergriffen von der Gnadenlosigkeit des Schicksals. Der Eintritt Dr. Osuras schreckte sie auf – sie kamen ihm
Weitere Kostenlose Bücher